Wer den ersten Teil des Fantasy Filmfest-Spezials noch nicht gelesen hat, holt das bitte sofort nach. Danke. Wieder da? Dann gehts heute weiter mit zwei weiteren Underground-Perlen.

Buried

Alfred Hitchcock hatte die Idee, einen Film nur in einer Telefonzelle spielen zu lassen. 2002 kam “Nicht auflegen!” von Joel Schumacher, der das Konzept eines solchen Minimalfilms zwar aufgriff, aber nicht konsequent genug durchzog. Zeitsprung ins Jetzt: Macht euch bereit für “Buried”.

Stellt euch vor, ihr schlagt die Augen auf und um euch herum ist tiefste Dunkelheit. Voller Panik wollt ihr euch aufrichten, aber ihr könnt euch kaum rühren, denn ihr liegt in einem Sarg, irgendwo im Nichts, um euch herum nur Finsternis und schwere Erde. Ihr habt keine Ahnung, wie ihr dorthin gekommen seid oder warum. Alles, was ihr noch bei euch habt, sind ein Feuerzeug und ein Handy. Der Empfang ist schwach und der Akku hält nicht mehr lange durch. Eure Atemluft reicht vielleicht noch für anderthalb Stunden. Die Zeit läuft.

Genaue Story-Details eines Films zu verraten, ist schon ein Kapitalverbrechen. Wer einen Film spoilt, also dessen Ende herausposaunt, sollte meiner unmaßgeblichen Meinung nach mit 50 Stockhieben auf die nackten Fußsohlen und Dauerbeschallung durch die Black Eyed Peas bestraft werden. Und wenn es anderthalb Stunden wirklich nur darum geht, ob ein armes Schwein in letzter Minute aus einer engen, dunklen Todesfalle entkommt, sind Spoiler eine Todsünde. “Buried” ist ein Film, der auf nur einer einzigen guten Idee beruht. Wenn die Umsetzung dieser Idee so haarsträubend spannend ist wie in diesem Fall, braucht es auch nicht mehr.

Hier war mal ein Bild das leider nicht gebackupt wurde :(

Und damit ist eigentlich auch schon fast alles gesagt, was man ohne Bedenken über den Film wissen darf, ohne sich selbst den Spaß zu verderben. Wenn ihr die Prämisse “Typ liegt in Sarg” ebenso faszinierend findet wie ich, kauft euch einfach eine Kinokarte und macht euch bereit für die Dunkelheit. Denn zum Glück ist nicht nur dieser Simpel-Aufmacher klasse, sondern auch die Ausführung. Und der Schauspieler. Mag man Ryan Reynolds auch als glatt polierten Schönling abtun: Der Bengel kann spielen. Ohne Zurückhaltung und Sicherheitsnetz liefert er hier eine Kräfte zehrende One Man Show ab, die beeindruckt und Respekt verdient. Einen ganzen Film zu tragen, von der ersten bis zur letzten Minute, der dazu noch an nur einem Setting spielt – das muss man erstmal schaffen. Zur Sicherheit mache ich es noch mal ganz deutlich: In diesem Film kommt wirklich nur Ryan Reynolds vor. Und er spielt nur in einem Sarg. Sagt später nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.

“Buried” ist ein kleiner, gemeiner, spektakulär unspektakulärer Thriller. Sicher kein weltbewegender Jahrhundertfilm, aber genau das Richtige, um den Puls mal wieder ordentlich in die Höhe zu treiben. Aber Achtung: Wer Angst vor Dunkelheit oder engen Räumen hat (oder womöglich beidem), sollte sich den Kinobesuch vielleicht doch lieber sparen. Denn wenn Ryan Reynolds im Film panisch in sein Handy brüllt, ist das total okay. Wer das im Kinosaal tut, sollte meiner unmaßgeblichen Meinung nach bestraft werden, nämlich mit… ihr wisst schon.

“Buried” startet in deutschen Kinos am 4. November 2010. Der nachfolgende Trailer verrät nichts, kann also gefahrlos angeklickt werden. Alle anderen Spoiler sind VERBOTEN!



The Dissapearance of Alice Creed

Auch der zweite Film dieses Specials steht unter dem Motto “Minimaler Aufwand, maximales Ergebnis”. Wenn auch nicht ganz so beeindruckend wie “Buried”, unterhält der Thriller-Kammerspiel-Beziehungsdrama-aber-eigentlich-größtenteils-Thriller-Mix “The Dissapearance of Alice Creed“ während seiner 96 Minuten Laufzeit ganz famos. Und wie in “Buried”, glänzt darin ein bislang zu Unrecht unbeachtetes Schauspieltalent.

Gemma Arterton ist Alice Creed, und um die Millionärstochter dreht sich alles in diesem Film. Auch die beiden Ganoven Vic und Danny (Eddie Marsan und Martin Compston) wollen Alice gar nicht mehr gehen lassen. Allerdings nicht, weil die schwarzhaarige Schönheit so schwarzhaarig und schön ist, sondern um ihrem stinkreichen Daddy die Millionen aus den Rippen zu leiern. Sie entführen Alice, bringen sie an einen unbekannten Ort und warten darauf, dass ihr alter Herr die Lösegeldforderung erfüllt. Ein ganz einfacher Plan also. Was könnte schon groß schief gehen…?

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Nun ja, wie es halt so ist mit ganz einfachen Plänen in Filmen. Natürlich geht alles ganz furchtbar daneben, natürlich ist nicht alles so, wie es scheint und natürlich macht eine der Figuren irgendwann den ersten Fehler. Einen kleinen nur, aber in so einer Situation kann eine Unachtsamkeit den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Auch hier ist jeder Interessierte angehalten, sich von Spoilern komplett fernzuhalten. Denn auch wenn das Schlussbild recht vorhersehbar ist (gerade geübte Krimifans dürften schon lange vor dem Ende ahnen, worauf das Ganze hinausläuft), machen die zahlreichen Twists und Enthüllungen einfach zu viel Spaß, um sie sich schon jetzt vermiesen zu lassen.

Und wer ist nun das angesprochene Schauspieltalent, das nicht nur bei mir Eindruck hinterlassen hat? Die bezaubernde Gemma Arterton isses. Falls euch der Name nun irgendwie vertraut vorkommen sollte, ihr ihn aber nicht ganz einordnen könnt (“Wer war das nochmal…?”) – die rassige Britin wurde einem größeren Publikum letzthin bekannt durch die beiden eher enttäuschenden Hollywood-Blockbuster “Kampf der Titanen” und “Prince of Persia.” In beiden Streifen spielte sie das typische Love Interest, dessen Rolle im wesentlichen darin bestand, gut auszusehen und sich gelegentlich mal vom Helden retten zu lassen. Langweilig. Austauschbar. Und wie wir nach “Alice Creed” nun wissen: Grandios verschenkt. Denn Miss Arterton hat weitaus mehr auf dem Kasten, als sich in alberne Kostüme zu zwängen.

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Auf ihr lastet das gesamte Gewicht dieses Films, denn wenn wir ihr Alice Creed nicht abkaufen, kann auch ein noch so cleveres Script nichts mehr retten. Doch dieser Gefahr entgeht Arterton souverän: Sie liefert eine saubere, sehr konzentrierte und überraschend überzeugende Darstellung ab, die wohl niemand von ihr erwartet hat. Für den Oscar wird’s zwar noch nicht reichen, aber mit diesem Film dürfte Miss Arterton ihren Marktwert deutlich gesteigert haben. Wunderbar wandlungsfähig gibt sie in der einen Minute das vor Angst wimmernde Opfer, nur um in der nächsten den Spieß umzudrehen und ganz unevermutete Facetten zu zeigen. Dabei beweist sie einen bewundernswerten Mut zur Nacktheit – nicht nur emotional entblößt sie sich vollständig, sondern auch körperlich. Mit ein paar Kilo mehr auf den Rippen als noch im Titanenclash, zeigt sie sich schonungslos unvorteilhaft: Verheult, verschmiert und eben, nun ja, nackt. Sexy ist das nicht und es ist auch nicht so gemeint. Aber wenn diese kurze FKK-Sequenz den einen oder anderen Gemma-Fan in diesen weitestgehend unbekannten Film treibt, hat sie ja ihren Zweck erfüllt. Denn wofür bringen Männer mehr Energie auf, als auch nur die Andeutung von nackten Brüsten zu erhaschen?

Auch “The Dissapearance of Alice Creed” hat mir gut gefallen und wird hiermit von mir empfohlen. Vielleicht bekommt das ja auch ein deutscher Filmverleih mit – einen offziellen Starttermin hat das Entführungsdrama nämlich noch nicht.