ACTA: Wird das Internet zensiert? #2
Vor einer Woche haben wir uns mit SOPA beschäftigt. Einer Gesetzesinitiative im US-Repräsentantenhaus. Das Für und Wider wurde ausführlich beschrieben. Auch den globalen Protest sollte mittlerweile jeder mitbekommen haben, sorgte gerade der Wikipedia-Blackout für Aufsehen. Ein bisschen unter dem Radar blieb das Handelsabkommen “Anti-Counterfeiting Trade Agreement” (ACTA). Zurecht wurden wir von unterschiedlichster Communitystelle darauf aufmerksam gemacht, dass uns als Deutsche ACTA viel eher betreffen kann als SOPA. Ein Grund für uns, ACTA mal genauer unter die Lupe zu nehmen und auf seine Skandaltauglichkeit zu prüfen.
Im SOPA-Artikel fanden sich vielerlei Kommentare. Hier eine Auswahl, die zeigt, wie sehr ihr euch mit dem Thema Zensur im Netz beschäftigt.
Dr. Strange schrieb:
“In dieser Form darf das Ganze nie verabschiedet werden, aber ich finde ich auch, dass geistiges Eigentum besser geschützt werden muss. Es ist aber verdammt schwierig die richtige Balance zu finden, ich bezweifel mal, dass es jemals ein zufriedenstellendes Ergebnis für alle Seiten geben wird.”
Chino schrieb:
“Sehr schöner, informativer Artikel. SOPA ist natürlich völliger Quatsch. Aber dass ein solcher Gesetzesentwurf überhaupt erst zustande kommen konnte zeigt ja nur, dass die Industrie immer noch so weit in die Politik eingreifen kann, dass ihre Interessen im Zweifelsfall über die der Verbraucher (bzw. des Volkes) gestellt werden. Das finde ich allerdings sehr beunruhigend.”
Logspeed schrieb:
“Ich habe mal einen Film gesehen, wo eine Gruppe von Kindern sich eine Pizza kaufen wollten. Der erste mochte keine Salami, der zweite mochte kein Thunfisch, der dritte kein Käse und der vierte keine Peperonis. Am Wnde haben sie sich eine Pizza ohne Belag bestellt. So ungefähr sehe dann auch das Internet aus! Wenn sich alle groß Konzerne die Beläge nehmen, bleibt nur der trockene Boden…”
crying_devil_ schrieb:
“Ich bin gegen sopa. aber ich kann auch die gegenseite verstehen. jedoch wird so ein gesetz niemals durchkommen und ich kann mir auch nicht vorstellen, wie man jemals so ein gesetz ratifizieren könnte. dazu gibt es einfach zu viele lücken und nachvollziehbare gefahren, wie man dem beitrag entnehmen kann.”
Torino schrieb:
“Es ist bedenklich wieviel Halbwissen hier [im Kommentarbereich, Anmerkung der Redaktion] betreffend der Filmwirtschaft verbreitet wird. Es ist sogar derart bedenklich, dass eine ausführliche Richtigstellung ein sinnloses Unterfangen ist. Egal – letztlich sind die Kommentare nur ein Beweis dafür, wie salonfähig das Kopieren von kulturellen Konsumgütern geworden ist und durch die abstruseten Argumente noch gerechtfertigt werden. Von sozialistischen Teenagerparolen ala “die haben schon genug Geld” bis zur Welt-Finanz-Verschwörungen ist alles dabei."
diddelidutz schrieb:
“Wenn ich jetzt sage dass Urheberrecht wichtig ist und es Internet-Piraten schwerer gemacht werden soll, melden sich sicherlich wieder dutzende leecher die sich beschweren, aber was solls, haters gonna hate; potatoes gonna do science… Im grund bin ich der Meinung, dass man das Urheberrecht schützen und wahren sollte, schade dass es so ausgenutzt wird, und schade, dass jeder Versuch das Urheberrecht zu schützen einfach gnadenlos übertrieben wird. Eine ganze Webseite wie facebook / Steam / Youtube wegen kleinigkeiten wie Avatar-Bildern zerstören zu können ist lachhaft…”
crying_devil_ schrieb:
“Hat jemand eigentlich schon von ACTA gehört? ACTA ist das europäische SOPA (würde somit auch uns als Mitgliedsstaat der EU betreffen) und ist größtenteils an uns vorbeigegangen, weil es nicht öffentlich verhandelt wurde! Wikipedialink.”
Und hier zeigt sich ein gravierendes Problem. Viele Internetuser informieren sich über Wikipedia. Ich ebenfalls. Keine Frage. Was mir allerdings bei näherer Betrachtung und Recherche aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass der deutsche Wikipedia-Artikel Anti-Counterfeiting Trade Agreement (Stand: Dienstag 24. Januar 2012) schlichtweg nicht mehr aktuell ist. Die Informationen sind zwar grundsätzlich nicht falsch, aber veraltet. Zum Beispiel geht der Artikel davon aus, dass das “Three-Strikes-Prinzip” angewandt wird. Nach der Veröffentlichung des vollständigen Dokuments, wurde der Artikel nicht mehr angepasst. Auch die angegebenen Quellen zu heise und spiegel-online sind veraltet und stammen aus den Jahren 2009 und 2010. Um sich eine fundierte Meinung bilden zu können, sind aktuelle Informationen die Grundvoraussetzung.
ACTA verfolgt im Grunde genommen das gleiche Ziel wie SOPA. Die internationale Software-Piraterie soll eingedämmt und das geistige Eigentum besser geschützt werden. Die in die Verhandlungen involvierten Vertragspartner sind stellvertretend für uns die Europäische Union, genauer gesagt die Europäische Kommission. Außerdem beteiligt sind die USA, Japan, Kanada, Schweiz, Südkorea, Singapur, Australien, Neuseeland, Mexiko und Marokko. In der Diskussion ist das Gesetz bereits seit 2005. Dass es erst im vergangenen Jahr abgeschlossen werden konnte, liegt vor allem daran, dass die einzelnen Staaten um jede Formulierung feilschten. Ende Mai 2011 wurde das “Anti-Counterfeiting Trade Agreement” dann erstmals in seiner Vollständigkeit veröffentlicht.
Vielen Kritikern konnte so erfolgreich der Wind aus den Segeln genommen werden, da das Gesetz deutlich liberaler ausfiel, als von einem Großteil der Experten angenommen. Die berüchtigte “Three-Strikes-Regel”, die zur Folge hätte, dass nach dem dritten Copyright-Vergehen der Internetanschluss deaktiviert wird, ist beispielsweise kein Teil von ACTA. Weiterhin sind Grenzuntersuchungen an denen Laptops, iPods, Handys und mp3-Player von Privatpersonen durchsucht werden nicht vorgesehen. Zwei Punkte, die zu Recht von Datenschützern und Juristen kritisiert wurden, haben es demnach nicht in die finale Version geschafft. Eine gehörige Schellte gab es für das zuständige Gremium, weil jegliche Verhandlungen im Geheimen stattgefunden hatten. Informationen gelangten nur spärlich bis gar nicht an die Öffentlichkeit und selbst das EU-Parlament tappte lange Zeit im Dunklen. Der Entstehungsweg von ACTA darf durchaus kritisch betrachtet werden. Das jetzt aber als Argument gegen ACTA aufzuführen ist eigentlich Unsinn, da mittlerweile alles offen dargelegt ist.
ACTA ist ein Abkommen ohne gesetzgebenden Charakter. Das Bedeutet, dass ACTA keinen Eingriff in die nationalen Grundrechte und Verfassungen, sondern eine Ergänzung darstellt. Nur aus diesem Grund ist es möglich, dass der Agrar- und Fischereirat in Brüssel das Handelsabkommen eher im Vorbeigehen durchgewunken hat. Der Umsetzung stehen aber noch weitere Institutionen im Weg. Als aller erstes muss das Europäische Parlament abstimmen, danach muss ACTA den Weg durch den Bundestag gehen, um tatsächlich in Deutschland zum Einsatz zu kommen. Sowohl EU-Parlament als auch der Deutsche Bundestag stehen dem Abkommen noch kritisch gegenüber. Denn obwohl die am härtesten kritisierten Aspekte rausgestrichen wurden, gibt es noch Unklarheiten. Zum Beispiel inwieweit die Provider ihre User überwachen müssen. Haftbar werden sie zwar nicht gemacht, doch Verbindungsdaten, müssten sie in der aktuellen Version bei Anfrage sofort rausrücken. Und um die Verbindungsdaten zu erhalten, müsste eine Überwachung mit Vorratsdatenspeicherung stattfinden, die vielen Datenschützern ein Dorn im Auge ist.
So wird es für die Provider und damit einhergehend für staatliche Behörden viel einfacher sein nachzuvollziehen, was der Durchschnittsbürger im Netz treibt. Auch gegen ACTA hat sich eine Protestbewegung formiert, der man beispielsweise hier in einer Petition gegen die Verabschiedung des Abkommens, seine Stimme geben kann.
Im Moment hängt ACTA noch in der Schwebe und weiß nicht recht, ob es der Film- und Musiklobby oder den Internetexperten und Datenschützern gefallen will. Die weitere Entwicklung steht in den Sternen und sollte auf jeden Fall im Auge behalten werden. Möglich ist, dass EU-Parlament und Bundestag, bevor das Gesetz ratifiziert wird, noch stärker auf die Kritik an ACTA eingehen. Dann wäre es vielleicht möglich, dass das Gesetz genau so wirkt, wie es wirken soll, nämlich zur Bekämpfung der internationalen Piraterie. Falls das nicht geschieht, ist es unsere Aufgabe den Leuten die unsere politischen Interessen repräsentieren klarzumachen, was unsere politischen Interessen sind und das wir es nicht dulden im Internet zensiert, bevormundet und überwacht zu werden.
ACTA: Staaten
Acta? Der Teufel oder absolut gerechtfertigt?