“Das Ende des Internets, wie wir es kennen.” – So beschreibt US-Abgeordnete Zoe Lofgren die Folgen des “Stop Online Piracy Act” (SOPA). Eine sehr drastische Sichtweise, die allerdings von nicht wenigen Experten geteilt wird. Als Abgeordnete für den Wahlkreis Silicon Valley ist sie besonders sensibilisiert für Einschränkungen im Internet. Doch was bedeutet SOPA überhaupt und müssen wir wirklich befürchten, dass “unser Internetz kaputt gemacht wird”, von Leuten, die es gar nicht so doll lieben wie wir? Damit alle auf dem gleichen Stand sind und nicht im Wust der Abkürzungen ersticken, ist es notwendig, zuallererst möglichst sachlich zu erläutern, welche Maßnahmen SOPA ergreifen will und was das für Folgen haben könnte.

Hinter der klangvollen Abkürzung SOPA verbirgt sich nicht etwa ein weiterer profilloser “Call of Duty”-Hauptcharakter, sondern ein Gesetzesentwurf, den der Abgeordnete Lamar S. Smith im Repräsentantenhaus vorgestellt hat. Das Gesetz zielt auf den Schutz von Urheberrechten im Internet, der besonders durch die zunehmende Globalisierung nicht mehr gewährleistet werden kann. Ziel ist es, die internationale Piraterie einzudämmen und Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten zu sichern. Um dieses Ziel zu erreichen und die Barrieren internationaler Gesetze zu überwinden, sieht SOPA vor, dass US-Gerichte im Schuldfall den Copyright-Inhabern Möglichkeiten bieten, gegen den Angeklagten vorzugehen. Das ist so im Moment nicht möglich. Betreibt ein US-Bürger einen Server im Ausland, beispielsweise in Russland (.ru) oder Tonga (.to), kann ein Gericht nicht gegen die Urheberrechtsverletzungen vorgehen, da sich der Server in fremdem Staatsgebiet befindet und damit nicht mit amerikanischen Gesetz belangt werden kann. Durch SOPA bieten sich dem Copyright-Inhaber zahlreiche Möglichkeiten. Er kann verfügen, dass keine US-Firma mehr auf der betroffenen Seite werben darf, er hat die Möglichkeit Kooperationen der Seite mit Bezahldiensten wie PayPal zu unterbinden und kann außerdem verhindern, dass die Website bei der Suche mit einer Suchmaschine angezeigt wird. Käme es zur Verabschiedung dieses Gesetzes und ein amerikanischer Gerichtscourt würde eine Seite wegen Copyright-Verletzungen verurteilen, wäre der Provider gezwungen, zu verhindern, dass US-Bürger auf diese Seite zugreifen können. Und das ganze innerhalb von fünf Tagen.

Besonders interessiert an diesem Gesetz und deshalb äußerst engagiert in der Lobbyarbeit sind die Motion Picture Association of America (MPAA) und die Recording Industry Association of America (RIAA). Um das Ausmaß der internationalen Filmpiraterie aufzuzeigen, veröffentlichte die MPAA ihre jährlichen Umsatzeinbußen und gab einen Schaden von 20,5 Milliarden US-Dollar an. Die Musikindustrie wird sicherlich in das Klagelied einstimmen und sieht durch den “Stop Online Piracy Act” endlich Licht am Ende des Tunnels. Die beiden Hauptargumente der SOPA-Befürworter sind der Schutz des geistigen Eigentums und die Sicherung von Arbeitsplätzen in den USA. Jeder Film und jeder Song sind Eigentum der jeweiligen Besitzer. An jedem Film hängen tausende Arbeitsplätze. Das sind ganz offensichtlich Schauspieler, Regisseure, Drehbuchautoren, Kameramänner, Ton-, und Lichttechniker, dazu kommen aber noch Verleiher, Kinobesitzer, Kulissenbauer und in letzter Instanz sicherlich auch Popcorn-Fabrikanten. In der Musikbranche sieht das nicht anders aus. Durch diese Aufzählung wird klar, wie groß das Ausmaß der durch internationale Film- und Musikpiraterie bedrohten Arbeitsplätze in den USA ist. Dem ganzen soll ein Riegel vorgeschoben werden. In erster Linie den sogenannten “rogue sites”.

Diese “Schurkenseiten” sind die oben bereits erwähnten Internetseiten, die ihre Server im Ausland haben und mit urheberrechtlich geschützten Inhalten Profit machen. Noch sind diese “rogue sites” über die gängigen Suchmaschinen zu erreichen, haben Werbeverträge mit US-Firmen und können von US-Bürgern genutzt werden. Das sollte sich bald ändern, findet zumindest Lamar Smith.

SOPA-Befürworter:

SOPA-Befürworter

Beschreibung: Bekannte SOPA-Befürworter.

Warum aber ist der Aufschrei im Internet so groß? Und wer steht an vorderster Front im Kampf gegen den Gesetzesentwurf?

Die Gegner sind namhaft und zahlreich, mittlerweile sogar deutlich in der Überzahl. Internetschwergewichte wie Google, Facebook und Ebay werden unterstützt von Yahoo, Mozilla, Twitter und Paypal. Die Unternehmen protestieren gegen einen deutlichen Einschnitt in die Grundrechte der Menschheit. Sie sehen vor allem die Meinungsfreiheit im Internet in Gefahr. Und befürchten eine zunehmende Zensur durch staatliche Behörden. Das Internet, immer ein Ort maximaler Freiheit und Innovation, würde so in seinen Grundfesten erschüttert.

Weitere Munition gegen das Gesetz liefern Datenschützer, die auf das erhöhte Sicherheitsrisiko hinweisen. Das vorgeschlagene Sicherheitssystem sei nicht in der Lage zu unterscheiden, ob eine Seite vom Staat gesperrt wurde oder von Hackern. Auch sonst sei es keinesfalls ausgereift und biete eine enorme Angriffsfläche für Cyberkriminalität. SOPA würde über das “Domain Name System” (DNS) Informationen filtern. Das geht allerdings nur, wenn das neue Sicherheitssystem DNSSEC nicht zum Einsatz kommt. DNSSEC ist seit mittlerweile 16 Jahren in der Entwicklung und soll einen Meilenstein in der Sicherung des Internets darstellen. Er würde durch die Verabschiedung des Gesetzes ausgehebelt.

Neben dem Sicherheitsrisiko sorgen sich viele Internetnutzer um ihre Partizipationsmöglichkeiten. Die Gestalt und Seitenvielfalt im Netz würde sich enorm reduzieren, weil manchen Internetseiten wie youtube.com komplett der Boden unter den Füßen weggerissen würde. Das Videoportal lebt von “user generated content”, der unter keinen Umständen komplett kontrolliert werden kann und von kleineren Verstößen lebt. Streng genommen wären jegliche Coverversionen von geschützten Liedern oder Neusynchronisationen wie Lord of the weed verboten und würden dazu führen, dass die Copyright-Inhaber rechtlich gegen youtube vorgehen könnten.

Problematisch könnte es sogar für vergleichsweise kleinere Seiten wie gameone.de werden. Denn auch bei uns gibt es “user generated content”. Ein Vergehen würde schon reichen, um die Seite zu sperren. Würde also ein User im Forum ein geschütztes Bild posten oder jemand würde auf playtube ein geschütztes Video hochladen und der Verfasser klagt, würde die komplette Seite gameone.de gesperrt, nicht etwa nur der gesetzeswidrige Teil entfernt.

Doch nicht nur die Internetnutzer schreien auf, auch Politikwissenschaftlicher sehen eine ungeheure Brisanz in diesem Gesetzesentwurf. Das Sperren von Webseiten durch die USA wäre ein schlechtes Vorbild für weitere Staaten, die sich diesem Verhalten möglicherweise angleichen könnten. Dann aber nicht um Copyrights zu schützen, sondern, um regierungskritische Inhalte zu beschränken. Unter die potentiell zu sperrenden Seiten fallen weiterhin Proxy-Server, die zwar teilweise zur Verbreitung illegaler Dateien genutzt werden, aber eben auch von Rebellen in diktatorischen Ländern. Diese Kommunikationsmöglichkeit via Internet würde bei der SOPA-Verabschiedung wegfallen.

Damit es soweit gar nicht erst kommt, hat Jimmy Wales, Gründer von Wikipedia, angekündigt, dass die Website am 18. Januar um 5:00 Uhr UTC für einen Tag komplett vom Netz genommen wird. Es soll lediglich ein Warnhinweis zu lesen sein, der allen Besuchern ins Gewissen ruft, welche Folgen SOPA für das Internet hat und wie sie dagegen vorgehen können. Der Wikipedia-Streik würde allerdings nur die englischsprachige Seite betreffen.

Denn für uns in Deutschland oder Europa wird der “Stop Online Piracy Act” keine Bedeutung haben. Im November vergangenen Jahres äußerte sich das europäische Parlament recht eindeutig zu SOPA. Die Abgeordneten sind der Meinung, “dass die Integrität des weltweiten Internets und die Kommunikationsfreiheit geschützt werden müssen, indem von einseitigen Maßnahmen zum Entzug von IP-Adressen oder Domänennamen abgesehen wird”.

SOPA-Gegner:

SOPA-Gegner

Beschreibung: Auswahl von SOPA-Gegnern.

Und falls das Gesetz in den USA tatsächlich verabschiedet würde, bekämen erst einmal nur die US-Bürger seine Folgen zu spüren. Doch auch in Amerika rückt die Durchsetzung in weite Ferne. Immer mehr Unternehmen und Experten distanzieren sich von SOPA. Erst kürzlich gaben Nintendo, Sony und Electronic Arts bekannt, dass sie den Gesetzesentwurf doch nicht unterstützen werden. Selbst wenn der Entwurf das Repräsentantenhaus durchläuft, hat der US-Präsident ein Veto-Recht. Und von diesem wird Barack Obama wohl Gebrauch machen. Vertreter des Weißen Hauses gaben in einer offiziellen Pressemitteilung bekannt, dass das Gesetz in dieser Form auf keinen Fall ihre Zustimmung erhalten werde, sie aber gleichzeitig um den Schutz des geistigen Eigentums bemüht sind und definitiv weitere Maßnahmen getroffen werden müssen. SOPA also ist zum Scheitern verurteilt, wird aber nicht der letzte Versuch sein, Copyright-Bestimmungen zu schützen und die internationale Piraterie einzudämmen.

In Deutschland wird der „Stop Online Piracy Act“ nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Das bedeutet aber nicht, dass hier die Situation besser ist als in den USA. Film- und Musikpiraterie ist längst nicht mehr ein Nischengeschehen. Vor allem das illegale Konsumieren von Filmen ist im Mainstream angekommen. Wie umfangreich illegale Angebote genutzt werden, zeigt der Tag an dem kino.to abgeschaltet wurde. Es war der 8. Juni 2011. Die Welt schien für einen Tag still zu stehen. Unmengen von Leuten redeten (erstmals) über kino.to. Das Erschreckende für mich war, wie weit die Nutzung der Seite verbreitet war. Sogar der größte Technikignorant, der gerade in der Lage ist den Computer fehlerfrei einzuschalten, nutzte die Seite. Die Empörung, dass man nicht mehr gemütlich abends die Lieblingsserie oder den neuen Kinofilm gucken konnte, war enorm. Kino.to war einfach zu groß geworden, verdiente zu viel Geld und schadete der Branche extrem. Die „Scene“ in der einst Filme, Musik und gecrackte Spiele im kleinen Kreis verbreitet wurden, ist längst zum Massenphänomen geworden und damit in den Fokus der staatlichen Behörden gerückt. Findet das Streamingangebot für den Otto-Normal-Bürger nicht bald ein Ende, werden auch wir in Deutschland uns mit einem ähnlichen Gesetz auseinander setzten müssen. Können Grundschulkinder und Senioren problemlos Filme vor ihrem deutschen Kinostart in guter Qualität im Internet gucken, bimmeln die Alarmglocken bei gvu und Bundesregierung.

Was ist eure Meinung zu SOPA? Knallharte Onlinezensur oder ein erster Schritt zu besserem Schutz des geistigen Eigentums? Welche Maßnahmen würdet ihr gegen die internationale Software-Piraterie ergreifen?