Im letzten KopfKino zu Christopher Nolans großartigem Traum-Thriller Inception habe ich frech behauptet, der Streifen gelte schon jetzt als einer der besten des Jahres. Damit hat Nolan den Platz des Kino-Spitzenreiters 2010 knapp verfehlt, denn der geht an Pixar. Ladies and Gentlemen, Kinder, Eltern und alle: Der beste Film des Jahres ist “Toy Story 3”. Natürlich hat das Jahr noch ein paar Monate, in denen viele neue Filme erscheinen werden, aber viel besser als hier geht es nicht.

“Toy Story 3” ist nicht nur ein Kinderfilm. Eigentlich ist sogar ganz eindeutig kein Film nur für Kinder. In der Pressevorführung habe ich erwachsene Männer weinen gesehen. Und auch meine Augen waren feucht, als der Abspann lief. “Toy Story 3” ist eine Geschichte über das Älterwerden, über das Ende der Kindheit und was es bedeutet, sich von dem zu trennen, was man mal geliebt hat. “Toy Story 3” ist wahnsinnig spannend und zum Schreien komisch, clever, aufrichtig und tief bewegend. Als Abschluss einer großartigen Trilogie ist dieser dritte und letzte Teil schlichtweg fehlerlos. Jede Geschichte hat ein Ende – und nun auch diese, die bereits vor 15 Jahren mit dem ersten Teil begann. Und dieses Ende ist … nun ja, es ist perfekt.

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Andy, der Besitzer von Space Ranger Buzz Lightyear und Cowboy Woody, ist erwachsen geworden. Mittlerweile 17 Jahre alt und bereit fürs College, beginnt ein neuer Abschnitt in seinem Leben. Die grünen Spielzeugsoldaten realisieren als erste, dass ihre Zeit mit Andy zu Ende geht und fliehen lieber in die ungewisse Außenwelt, als im Müllbeutel zu enden. Woody, Buzz und die anderen Spielzeuge landen als großzügige Spenden in einem Kinderhort. Dort treffen sie auf den gemütlichen Knuddelbären Lotso – und wähnen sich kurzfristig im Plastik-Paradies: Was kann es Schöneres für Spielzeuge geben, als von einer Bande sabbernder Hosenscheißer abgöttisch geliebt zu werden? Doch schnell merken unsere Mini-Helden, dass etwas faul ist im Spielzeugland. Nicht nur, dass Pummelbär Latso offenbar etwas zu verbergen hat. Viel schlimmer: Die entfesselte Kleinkind-Stampede gibt dem Begriff “kleine Monster” eine ganz neue Bedeutung…

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Viel mehr sollte man wirklich nicht verraten, um den Spaß an “Toy Story 3” nicht zu verderben. Wer die Vorgängerteile gesehen hat (hat das jemand nicht?), kann sich aber ungefähr vorstellen, was ihn im Laufe der 105 Filmminuten erwartet. Die Kreativgötter und Film-Geeks von Pixar springen wild von einem Genre zum anderen, zitieren souverän einige der ganz großen Ausbruchsfilme der Kinogeschichte, jagen uns in einer Szene Gruselschauer über den Rücken (ein paar Sequenzen dürften für die ganz, ganz Kleinen vielleicht wirklich zu verstörend sein), um in der nächsten Minute das ganze Publikum in schallendes Gelächter ausbrechen zu lassen. “Toy Story 3” ist ein weiterer Beweis dafür, dass niemand die Kunst des perfekt getimten Gags so beherrscht wie Pixar. Ich kann mich nicht erinnern, wann zuletzt eine animierte Plastikraupe nur mit einem einzigen Satz für spontanen Szenenapplaus im Kinosaal gesorgt hat.

Überhaupt, die Gags: Hier sitzt jeder einzelne. Trotz des melancholischen Grundtons ist “Toy Story 3” zuvorderst ein Unterhaltungsfilm, und zwar einer für die ganze Familie. Das wissen die Jungs von Pixar sehr genau. Der “Toy Story”-Humor funktioniert für alle Altersstufen. Während die Kleinen vor Vergnügen jauchzen, wenn Woody einen Tritt in den Hintern bekommt, grinsen die älteren Semester eher bei den zahlreichen Anspielungen und Situationsgags. Barbies Plasikstecher Ken ist “KEIN MÄDCHENSPIELZEUG!!!” und Buzz hat durch eine Verkettung unglücklicher Umstände eine linguistische Fehlfunktion – auch die größten Zyniker müssen sich schon sehr anstrengen, um bei solch charmanten Späßen nicht zumindest ein wenig zu schmunzeln.

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Als ich den ersten “Toy Story”-Teil gesehen habe, war ich 15. Heute bin ich doppelt so alt. Dinge verändern sich. Das ist ebenso schön wie traurig, bitter und süß. Pixar haben aus dieser vermeintlich banalen Binsenweisheit ein Animations-Meisterwerk geschaffen, das sogar “Oben” und “Wall-E” übertrifft. Wie so viele andere, bin ich mit den Figuren gewachsen und habe sie in drei Kinofilmen auf einem großen Abenteuer begleitet. Woody, Buzz und Mr. Potatoe Head sind mir ans Herz gewachsen, weil Pixar ihre Figuren niemals als Aufhänger für krawalligen Slapstick wie etwa in “Ice Age” missbraucht haben. Auch wenn’s komisch klingt: Die Plastikpuppen aus dem Rechner waren immer menschlicher und wahrhaftiger als viele reale Hollywood-Sternchen. Jetzt sehen wir sie zum letzten Mal; ein letztes Mal “Du hast’n Freund in mir” und “Bis zur Unendlichkeit … und noch viel weiter!” Da kann man schon mal sentimental werden – und wenn man sich die internationalen Kritikermeinungen mal ansieht, bin ich nicht der einzige, der sich verstohlen die Tränchen aus dem Augenwinkel wischen musste. Ein kurzer Blick auf Rotten Tomatoes sollte auch die größten Zweifler verstummen lassen: 231 positive und nur drei (!) negative Bewertungen zeigen, dass die Magie nicht nur bei mir wirkt. Man ist niemals zu cool für “Toy Story 3”. Oder zu alt. Für “Toy Story 3” ist man immer im richtigen Alter, und vielleicht ist das das größte Kompliment, was man einem solchen Film machen kann.

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Ach, genug geschnulzt – schaut euch diesen Film an. Vor allem, wenn ihr schon von Anfang an dabei wart. Am 29. Juli treten Woody, Buzz und die anderen Toys ihre letzte Kinoreise an. Plastik kann schmelzen und Batterien gehen irgendwann aus, aber Freundschaft hält bis zur Unendlichkeit.

Und noch viel weiter.