Es gibt nur eine Handvoll Regisseure, bei denen die ganze Filmwelt den Atem anhält, wenn sie ihr neues Baby der Öffentlichkeit präsentieren. Steven Spielberg zum Beispiel, oder James Cameron. Auch Uwe Boll, aber bei dem hat das andere Gründe. Und natürlich Martin Scorsese. Nach epischen Meisterwerken wie “Taxi Driver”, “Wie ein wilder Stier” oder “Goodfellas” zählt der New Yorker unbestritten zu den besten Filmemachern der Welt. In den letzten Jahren hat er sich scheinbar ein bisschen in Leonardo DiCaprio verliebt und das “Titanic”-Pausbäckchen in seinen drei letzten Streifen besetzt – und wie der Erfolg von “Gangs of New York”, “Aviator” und “The Departed” (das Original, “Infernal Affairs”, ist übrigens viel, viel besser) gezeigt hat, ist diese Zusammenarbeit eine durchaus fruchtbare. So war die Enttäuschung denn auch groß, als der Starttermin von “Shutter Island” vom letzten Oktober auf diesen Februar geschoben wurde. Doch nun ist die Wartezeit vorbei – und die Enttäuschung wird beim einen oder anderen fleißigen Kinogänger womöglich noch etwas größer sein. Denn der Mystery-Psycho-Cop-Thriller ist zwar edel fotografiert, toll gespielt und teuer produziert, bleibt letzten Endes aber seltsam belanglos. Und außerdem – das ist vielleicht sein größtes Problem – hält er sich für cleverer, als er tatsächlich ist.

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Die Probleme, die “Shutter Island” plagen, beginnen schon bei der Inhaltsangabe. Versuchen wir es mal so spoiler-frei wie möglich: Im Jahr 1954 untersucht U.S.-Marshall Teddy Daniels (DiCaprio) mit seinem neuen Partner Chuck Aule (Mark Ruffalo) das mysteriöse Verschwinden einer Patientin aus einer schwer bewachten Sicherheitsanstalt für Geisteskranke. Schnell ahnt Heißsporn Teddy, dass einiges faul ist im Irrenhaus: Wie konnte die gute Frau einfach so aus ihrer Zelle gelangen, ohne dass jemand was gesehen hätte? Was führt der stets vom Pfeifenrauch umnebelte Anstaltsleiter Dr. John Cawley (unser Lieblings-Glatzkopf Ben Kingsley) im Schilde? Experimentieren die Ärzte etwa des Nächtens an schreienden Patienten herum? Und wer ist der ominöse “Patient 67”, der laut offizieller Akte nicht existiert? Während Teddy-Boy zur Lösung des Geheimnisses geschlagene 138 Filmminuten braucht, dürfte jedem halbwegs erfahrenen Krimi-Gucker die ach so überraschende finale Storywendung nach spätestens 20 Minuten völlig klar sein. Und das wäre ja noch nicht mal so schlimm – schließlich braucht nicht jeder Thriller einen schockierenden Jahrhundertwist am Ende -, wenn Scorsese dieses Mini-Mysterium nicht derart penetrant in den Mittelpunkt rücken würde.

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Es ist wirklich ein Jammer. Da versammelt Großmeister Scorsese wieder mal eine handverlesene Schar hochtalentierter Spitzenschauspieler, lässt seinen Chefkameramann Robert Richardson meisterhafte Szenenbilder komponieren, erweckt mit perfekter Ausstattung die von Paranoia und Misstrauen zerfressenen 50er Jahre des Kalten Krieges wieder zum Leben – und hechelt doch nur dem großen Aha-Effekt am Ende entgegen. “Shutter Island” ist ein perfektes Beispiel dafür, dass die Summe manchmal eben doch nicht größer ist als ihre Teile. Weil Scorsese die Geschichte wichtiger ist als die Charaktere, die sie erst zum Leben erwecken, kämpft selbst ein Profi wie Leonardo DiCaprio auf verlorenem Schauspiel-Posten: Sein labiler Teddy Daniels, potenziell die interessanteste und abgründigste Figur des gesamten Films, guckt zu Beginn aggressiv, in der Mitte verwirrt und gegen Ende hin aggressiv-verwirrt – viel mehr Charakterentwicklung is’ nicht, auch wenn dramatische Szenen es uns vorgaukeln. Regelmäßige Flashbacks seiner grausamen Kriegserfahrungen (oder, damit es nicht ganz so einseitig wird, seiner toten Frau) sollen uns zwar unmissverständlich klar machen, dass EIN DUNKLES GEHEIMNIS AUF SEINER SEELE LIEGT (Donner!) … aber genau dieses kündigt sich derart offensichtlich an, dass man im großen Finale nur mit den Schultern zuckt und ein gelangweiltes “Ach nee…” brummt. So wirft uns Scorsese alle paar Minuten neue, mysteriöse Hinweise vor die Füße, lässt sinister lächelnde Charaktere munter auf- und sofort wieder abtreten, zitiert “Session 9” genauso wie “Wenn die Gondeln Trauer tragen”, beballert uns mit dem so typischen, schnulzig-dramatischen Streicher-Soundtrack – und will am Ende doch nur den großen Enthüllungs-Knaller zünden. Nur hat der in diesem Fall eine verdammt kurze Zündschnur.

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Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Scorsese auf Biegen und Brechen ganz hohe Filmkunst schaffen wollte. Und natürlich ist die graue Emminenz aus Hollywood so gut, dass ihm das auch gelingt. Denn, wie bereits neidlos anerkannt, handwerklich ist “Shutter Island” nahezu makellos. Ohne Zweifel dürfen sich Filmhochschüler die nächsten paar Jahre daran abarbeiten, jene noch so kleine Feinheit der streng durchkomponierten Einzelszenen zu finden. Doch leider berauscht sich der Regie-Altmeister ein wenig zu sehr an seiner Genialität: Gerade im Filmmittel hätte der Cutter locker mal 20 Minuten schneiden können, ohne dass dem Zuschauer wirklich signifikante Szenen entgangen wären. Zu oft plätschert das gar nicht mal so rätselhafte Treiben vor sich hin, sehen wir NOCH eine düster ausgeleuchtete Kellerszene und hören NOCH MAL den bedrohlichen Bombast-Score, der NOCH MAL von einem saftigen Sturm und nahendem Unheil kündet. Huch! Und währenddessen brüllt, schlägt und halluziniert sich Leo DiCaprio einer Auflösung entgegegen, die man drei Meilen gegen den Wind riecht. Martin Scorsese ist unbestritten einer der besten Regisseure der Welt, aber in “Shutter Island” überschätzt er sein Talent als Geschichtenerzähler – und unterschätzt die Kombinationsgabe des Publikums.

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Auch wenn Kino-Snobs jetzt empört aufschreien werden: Der neue Film von Martin Scorsese ist nicht viel mehr als eine müde Psycho-Gruselgeschichte in Hochglanz-Verpackung. Gelegentlich wirkt “Shutter Island”, als sei er primär für Leute gemacht, die nicht mehr allzu oft ins Kino gehen. Wie Eltern. Die wären bestimmt von den tollen Bildern und dem pathetischem Soundtrack total beeindruckt gewesen. Und hätten auch nicht gemerkt, dass Scorsese hier eine Geschichte erzählt, die man in ähnlicher Form schon ein paar Mal gesehen hat. Eigentlich sogar ein paar mal zu oft.

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Nein, schlecht ist “Shutter Island” nicht. Und natürlich ist ein “So lala”-Film von Scorsese immer noch besser als der beste Film von Roland Emmerich. Allerdings ist er auch meilenweit entfernt von früheren Geniestreichen. Diese harmlose Fingerübung im Thriller-Genre hat zu wenig Seele, zu wenig Leben, auch zu wenig Cleverness, um nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben. Sagen wir es doch mal knallhart: Stünde nicht der Name Scorsese dick und fett auf dem Plakat, würde “Shutter Island” vermutlich nach 3 Wochen aus den Kinos verschwinden und in der Videothek seine Zuschauer finden. Ungerecht? Tja, vielleicht. Aber von einem Meister erwartet man nun mal Meisterhaftes, und das ist “Shutter Island” schlichtweg nicht. Er wird’s verkraften. Wir auch. Aber beim nächsten mal darf es bitte wieder “brilliant” und nicht nur “nett” sein! Denn nett ist die kleine Schwester von … ihr wisst schon.

Und wer sich dennoch schon mal in Stimmung für den Start am 25. Februar machen will – hier ist der offizielle Trailer: