Es fällt mir schwer zu “District 9” eine objektive Meinung zu äußern, da ich als games-affiner Mensch natürlich schon lange vor Neill Blomkamps Erstlingswerk das Projekt “Blomkamp + Jackson” verfolgt habe – und zwar ab dem Moment in dem angekündigt wurde, dass diese beiden von mir hochgeschätzten Personen der Filmkunst meine Lieblingsserie “Halo” in die Kinos bringen sollen. Eine bessere Kombination habe ich mir schon damals nicht vorstellen können (Effekteprofi und Techniknerd trifft den Bezwinger großer Geschichten) und kann es heute erst recht nicht, ganz besonders nachdem ich sprachlos und beeindruckt aus dem “District 9”-Kinosaal stolperte, einen dicken Klecks Käsesauce auf dem Hemd und einen noch größeren Kloß im Hals. Doch zurück zum Anfang.

Ich bin der Meinung um “District 9” gebührend einschätzen zu können, muss man zwangsweise seine Entstehungsgeschichte kennen und verstehen lernen. Denn was sich nun als unglaubliche Erfolgsgeschichte entpuppt, an amerikanischen Kinokassen einschlägt wie eine Independent-Bombe und bei manchen besonders euphorischen Kritikern bereits als Oscar-Kandidat gehandelt wird fing eigentlich mit einer ganz anderen Sensation an.

Es war der Knaller schlechthin: Peter Jackson produziert einen Film zur “Halo”-Saga – und hat sich als Regisseur den spielenden und verspielten Kurzfilmregisseur Neill Blomkamp ausgesucht. Man kann zwar durchaus annehmen, dass es bei “Microsoft” einige Bedenkenträger dieser Entscheidung gab – der visionäre Jungregisseur hatte bis zu diesem Moment nicht mehr als ein paar beeindruckende Werbespots und eine Handvoll Kurzfilme erstellt – doch Peter Jackson ist nunmal Peter Jackson und hat in der Vergangenheit nicht nur vermeindlich Unfilmbares filmbar gemacht sondern sich auch noch als kosteneffizient und geschickt in der Auswahl seiner Leute erwiesen. Viele hätten erwartet oder gewünscht, dass Jackson selbst die Regie übernimmt, doch er stellt allen Ernstes diesen jungen Kerl hinter die Kamera. Das Budget des “Halo”-Films lag damals bei etwa $150 Millionen.

Einzige Waffe Blomkamps: Ein paar Preise für seine Werbespots und “Alive in Joburg”, der allerdings sehr eindrucksvoll beweist, dass man auch schon mit wenig Geld und nur durch geschicktes Storytelling und intelligent eingesetzten Effekten eine bedrückende Stimmung erzeugen kann. Der Clou: Die Interviews der Fake-Doku sind real – alle Antworten betrafen ursprünglich “unerwünschte” Randgruppen in Johannesburg. Der Regisseur hielt seinem Publikum schon damals gerne den Spiegel vor.

Wer “Alive in Joburg” noch nicht gesehen hat sollte das an dieser Stelle unbedingt nachholen.

Und so war es wohl auch eben jener Kurzfilm über das Leben und Überleben einer außerirdischen Rasse inmitten der Slums von Johannesburg, der die meisten “Halo”-Fans davon überzeugte, dass ihr Lieblingsfranchise bei diesem Mann nicht nur in guten, sondern in überaus talentierten Händen lag. Fast alle Werke von Blomkamp wirkten unter den Vorzeichen des “Halo”-Hypes fast schon wie Bewerbungsvideos, so gut passten die einzelnen Elemente wie Rüstungen, Waffen und Fahrzeuge zum Spiel-Universum. Am besten schaut ihr Euch alle mal selbst die vollen Videos an und vergleicht sie im Kopf grob mit dem “Halo”-Universum.

Eigentlich war alles perfekt, sogar die Fans des Spiels waren mit dieser Wahl nach ausgiebiger Kontrolle seiner Werke mehr als nur einverstanden. Also ließ man Blomkamp gewähren, schrieb ein paar euphorische Pressemitteilungen und hielt sich ansonsten für die ersten Monate der Produktion respektvoll zurück. Wir von Gameone waren über die Wahl Blomkamps so erfreut, dass wir ihm in unserer allerersten Sendung satte acht Minuten “Halo”-Filmspecial widmeten:

Gameone, Folge 1, Part 2
(Ab Minute 3:52)

Nun muss man sich vorstellen wie enttäuschend die darauf folgende Erfahrung für Jackson und Blomkamp gewesen sein muss. Zusammen mit den “Weta”-Studios vertiefte sich Blomkamp in den “Halo”-Kosmos, versuchte sich an authentisch eingebetteten Effekten, baute Warthogs real nach, drehte sogar einen kleinen Test-Kurzfilm, der als Werbevideo für “Halo 3” verwendet wurde und war Interviews zufolge sehr zufrieden mit dem Fortschritt, den das Projekt im Laufe der Monate machten. Doch natürlich kam es anders, wie immer wenn zu viel Geld im Spiel ist.

Nach fünf Monaten 24/7-Produktion wurde das Projekt von “Microsoft” plötzlich abgebrochen sowie die wahren Gründe dafür unter einem Haufen von Behauptungen, Gegenbehauptungen, Finanzgefrickel und Schuldzuweisungen begraben. Offiziell war beiden Produktionsfirmen “Universal” und “Fox” Microsofts prozentuale Beteiligung am “Halo”-Hype zu hoch. Dabei ist nur allzu offensichtlich, was Geld- und Lizenzgebern an Peter Jacksons Regisseurwahl nicht gefallen hat. Blomkamps Vision, den epischen Krieg der Alien-Allianz mit den Menschen so realistisch und “nachvollziehbar” wie möglich zu machen und dabei auch mit allen Regeln des Action-Kinos zu brechen, war für die ideenlosen Managementroboter der Gameszene natürlich wie ein rotes Tuch.

Überwachungskamera-Look, “embedded journalist”-Wackelkamera und teure Effekte die dennoch nur im Hintergrund stattfinden, so etwas hatte man sich bei “Microsoft” sicherlich nicht unter der Verfilmung ihres größten virtuellen Zugpferds vorgestellt. Ach ne, echt? Eine enorme Überraschung. Hätte ich von einem gigantischen Konzern wie “Microsoft” ja überhaupt nicht erwartet, dass sie vor Innovation und Originalität den Arsch zusammenkneifen und stattdessen lieber auf jemanden warten der so durchschnittlich, unoriginell und langweilig wie nur irgendwie möglich ist. Schließlich wird man heutzutage ja durch Qualität reich und nicht durch Quantität … oder wie war das? In welchem Rhythmus kommt mittlerweile ein neues Windows raus damit alle möglichst schnell die Bugs des alten Windows vergessen? Egal. Jetzt ist es eh zu spät sich darüber aufzuregen.

Hier war mal ein Bild das leider nicht gebackupt wurde :(

Ganz klar: Ein Spiel wie “Halo” mit seinem übertriebenem Actionstyle schreit natürlich geradezu nach einem visionären Vollhonk wie Michael Bay. Close-Up-Kamerafahrten um den Helm des Master Chiefs herum, gigantische seelenlose Weltraumschlachten und ganze Filmabschnitte aus dem Computer ohne einen einzigen “echten” Schuss doch dafür gefüllt mit zahllosen ziellosen einzelligen Dialogfetzen – Michael Bay halt. Und ich verwette meine Vorhaut, dass eben dieser oder vielleicht sogar noch jemand weniger talentierteres letztendlich die Reste aufwischen darf und uns mit einem actionüberladenen und sinnentleerten “Halo”-Film “beglücken” darf. An diesem Tag werde ich mir übrigens die Pulsadern öffnen, doch das ist wieder eine andere Geschichte, die allerdings auch einen Hollywood-Film wert wäre.

Und nach dieser kleinen Einführung kommen wir nun endlich zu “District 9”, einem Film der ebenso wie sein Kurzfilm “Alive in Joburg” in Blomkamps Geburtsstadt Johannesburg spielt und vom Titel her an den berühmten “District Six” angelehnt ist, einem Viertel in Kapstadt das während der Apartheid zwangsgeräumt wurde. Exakt das droht auch den in Slums hausenden Aliens die vor 30 Jahren mit einem offenbar manövrierunfähigen Raumschiff über der Stadt havarierten und seitdem mehr oder weniger unkontrolliert in einem Ghetto vor sich hin vegetieren. Gleich in den ersten Minuten wird klar, Mensch und Alien haben sich auch nach all dieser Zeit nicht miteinander abgefunden, lediglich ein Grenzzaun trennt die völlig unterschiedlichen Welten – auf der einen Seite verunsicherte Menschen, auf der anderen über zwei Millionen apathisch wirkende insektoide Besucher, “Prawns” genannt.

Mehr sollte man als Ausgangslage ohnehin nicht über diesen Film wissen – außer vielleicht, dass Neill Blomkamp es tatsächlich geschafft hat “Stromberg”, “Die Fliege” und sogar ein bisschen “Halo” unter einen Sci-Fi-Hut zu bekommen. Mit nahezu unbekannten Schauspielern, Effekten die man manchmal nur schwer als solche ausmachen kann, einer ordentlichen Menge Spannung und Action sowie einem Verständnis für Regie und Kameraführung das demnächst noch einige Wellen schlagen und Nachahmer animieren dürfte. Blomkamp ist meiner bescheidenen Meinung nach der Tarantino der Effekte. Schmutzig und bei Bedarf auch gern brachial – aber immer mit Stil.

Ich kann gar nicht oft genug betonen wie wichtig dieser Film meiner Ansicht nach für das komplette “Science Fiction”-Genre werden wird – denn ganz gleich wie gut dem einzelnen Kinobesucher die Geschichte auch gefallen mag, ist ihre Präsentation schon jetzt über jeden Zweifel erhaben. Soviel Eier muss man wirklich erst einmal haben um ein gigantisches Riesenraumschiff über einer Stadt schweben zu lassen und bis auf ein-zwei storyrelevante Gelegenheiten kein einziges Mal effekthaschende Nahaufnahmen zu zeigen. Und dabei passt dieser Stil auch noch wahnsinnig gut zur Storyline, denn dieses Ding hängt da bereits seit 30 Jahren und ist zum Zeitpunkt des Films für die Menschen darunter also schon ein außerordentlich alter Alien-Hut.

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“District 9” ist einer der intensivsten Filme die ich seit langem, langem gesehen habe und der 29jährige Kanadier Neill Blomkamp ist ein Paradebeispiel für eine neue Generation von Filmemachern. Man kann nicht anders als froh zu sein, dass sich zwei Menschen wie Jackson und Blomkamp gefunden haben, nicht zuletzt dank dem “Halo”-Debakel. Beide sind selbst in mehreren Subkulturen zuhause und wissen, dass es schon lange nicht mehr darum geht Effekte möglichst fett ins Bild zu pressen sondern darum zu verstehen, dass sie umso realistischer wirken je deutlicher man sie in den Hintergrund rückt. Dass Charaktertiefe und Atmosphäre niemals im Computer entstehen sondern direkt am Set, vor Ort, im Kopf des Regisseurs und den Linsen der Kameras. Geh kacken, Michael Bay. Dein Ende ist nah.

Nach diesem unerwarteten Erfolg an der Kinokasse stellt sich natürlich automatisch eine andere Frage: Ist es möglich, dass “Microsoft” nach diesem Dilemma (immerhin haben sie hiermit bewiesen, dass sie von Filmen und Popkultur nicht die geringste Ahnung haben und Potenzial nichtmal erkennen, wenn es längst auf ihrer Gehaltsliste steht) eine erneute Annäherung an ihren Ex-Regisseur wagt? Natürlich wurde dem ollen Blomkamp diese Frage längst gestellt und seine Antwort ist weder arrogant noch ermunternd – stets erhält man eine freundliche aber nach Abzug aller PR-Floskeln unmissverständliche Absage.

Und das völlig zu Recht. Neill Blomkamp ist nach dem kommerziellen Erfolg seines ersten Films in einer unwiderstehlichen Position und braucht vermutlich nie wieder das Geld oder die Lizenzen irgendeiner lächerlichen Spielefirma mit ihren eindimensionalen Helden und platten Universen. Obwohl ich es wahnsinnig schade finde, dass dieser Mann aufgrund seiner Erfahrungen mit der Gamesbranche wohl niemals wieder eines meiner Lieblingsspiele verfilmen wird, gönne ich allen Verantwortlichen diese filmische und finanzielle Demütigung von ganzem Herzen.
“Microsoft”, das hast du dir redlich verdient.

“District 9” hat übrigens nur $30 Millionen gekostet. Bezahlt aus der Tasche von niemand geringerem als Peter Jackson.

Applaus. Vorhang. Und aus.

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Aber erst noch schnell auf das Bild klicken und die knallhart fundierte Kritik des Nerd-Kollegen Wolf zu “District 9” lesen, falls das noch nicht geschehen ist. Klick mich!