Senf Ab: Zensur in „South Park - Der Stab der Wahrheit“
Vor gar nicht all zu langer Zeit habe ich meine alte Liebe zur Zeichentrickserie “South Park” wiederentdeckt. Als die ersten paar Staffeln auf RTL liefen, war die Serie für mich von einem Hauch des Verbotenen umgeben. Das nächtliche Runterschleichen zum viel zu kleinen Röhrenfernseher gehörte für mich zu “South Park” wie Furzwitze und unförmige Kampfkolosse. Mit der Zeit habe ich die Serie aus den Augen verloren. Böse Stimmen behaupten sogar, dass ich die Serie irgendwann “dämlich” und “flach” fand. Falls ich das wirklich mal behauptet haben sollte, war ich wahrscheinlich einfach zu dumm naiv für den satirischen und bitterbösen Humor der beiden Serienmacher Trey Parker und Matt Stone.
Genug aus der Vergangenheit, zurück ins Hier und Jetzt. Seit ungefähr einem Jahr habe ich die Serie neu für mich entdeckt. Ich liebe die Kompromisslosigkeit, mit der die Serie mit zeitaktuellen Geschehnissen ins Gericht geht und dabei auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt. Keine Randgruppe ist Stone und Parker zu klein und kein Eisen ist zu heiß, als dass sie es nicht auf die schlecht animierten Hörner nehmen würden. Der Erfolg gibt den beiden Produzenten aus Colorado Recht: “South Park” läuft erfolgreich seit 17 Jahren und in ebenso vielen Staffeln im Fernsehen und hat mehrere Emmys abgeräumt. Der 1999 erschienene Kinofilm “South Park: Der Film – größer, länger, ungeschnitten” wurde sogar für einen Oscar nominiert.
Kein Wunder also, dass ich mich wie ein Schnitzel auf das Spiel “Der Stab der Wahrheit” gefreut habe. Vor allem als die ersten Bilder und Trailer die Netzwelt erreichten, war ich Teil des Hypes. Letzte Woche konnte ich endlich Hand an das Spiel legen und was soll ich sagen: Es ist super. Meine Erwartungen waren hoch und wurden nicht enttäuscht. Ein fast perfekter Fantraum – wäre da nicht dieser eine kleine Dorn, der immer wieder und penetrant ins Auge sticht: Die lieblos gekürzten Inhalte der Konsolenversionen.
Im Spiel wird das sonst so beschauliche Bergdorf in Colorado von Nazi-Zombies überrollt. Menschen, Katzen und Kühe verwandeln sich in Untote mit einem Fable für Gehirne, Grunzgeräusche und nationalsozialistische Symbole. Hitlergruß, Hakenkreuz und rechtspopulistische Parolen – all das fällt in Deutschland unter die in Paragraf 86a StGB festgelegten verfassungsfeindlichen Symbole, die in diesem Land zurecht verboten sind. Werden diese Symbole öffentlich zur Schau gestellt, droht dem Verbreiter nicht nur eine Geldbuße, sondern auch eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Kein Wunder also, dass bei Ubisoft alle Alarmglocken schrillten, als bekannt wurde, dass in der ersten Auflage für den deutschen Markt ein NS-Symbol übersehen wurde. Dass sich dadurch der Verkaufsstart nach hinten verschob, war zwar für die Spieler ärgerlich, aber aus dem Blickwinkel des Unternehmens mehr als nachvollziehbar und ein unausweichlicher Schritt. Homeoffice aus der Gefängniszelle heraus klingt für niemanden verlockend.
Klar, Kunst- und Medieninhalte, die nicht rechtspopulistisch ausgerichtet sind, haben bei der Verwendung von Nazisymbolen einen Sonderstatus. In Filmen wie “Der Untergang” oder “Inglourious Basterds” wurden zwar die Symbole auf Plakaten und DVD-Hüllen entfernt, im Film selbst waren sie aber zu sehen. Im Fall von Computerspielen ist die Verwendung von verfassungsfeindlichen Inhalten noch nicht so etabliert wie in den bildenden Künsten oder im Film. Das “South Park”-Spiel als Präzedenzfall für diese Praktik zu verwenden, war Ubisoft wahrscheinlich ein zu großer zeitlicher und finanzieller Aufwand. Sie gingen den Weg des geringsten Widerstandes und haben die Symbole wenig elegant aus dem Spiel entfernt. Über den Armbinden der Nazi-Zombies liegen dicke schwarze Balken, die mit den Figuren hin und herwackeln. In der amerikanischen Fassung brabbeln die Zombies zusammenhangslose Sprachsamples aus den Reden Adolf Hitlers vor sich hin, die in der deutschen Version fehlen. Auf Letzteres kann ich, obwohl es eine interessante Idee ist, ohne Probleme verzichten, da sich dadurch mein Spielerlebnis nicht merklich verändert. Die omnipräsenten schwarzen Balken allerdings sind mir ein Dorn im Auge. Sie wurden so lieblos über die Grafiken und Animationen gelegt, dass sie mich immer wieder aus der Spielwelt reißen. In dem sonst so detailverliebt nachgebauten South Park wirken sie wie ein Fremdkörper, der dick und fett die Spielwelt durchschneidet. Dass man die Szenen auch geschickter hätte entschärfen können, macht die Sache noch ärgerlicher. Die NS-Symbole hätte man ohne Probleme durch ein Kreuz, Quadrat oder etwas völlig Absurdes ersetzen können. Die Arm-Animationen hätte man unter den Tisch fallen lassen können, ohne dass es jemanden gestört hätte. Dass die Zombiekuh von nebenan bei der nächsten Wahl nicht unbedingt die Grünen wählt, hätte man auch ohne die expliziten Symbole verstanden.
Die Entschärfung der Nazi-Symbole ist zwar ästhetisch nicht gerade gelungen, sie war aber aus Sicht des Publishers nachvollziehbar. Anders schaut es bei den sieben Cutscenes und Minispielen aus, die aus der europäischen und australischen Version entfernt wurden. Im Laufe des Spiels werden der eigene Charakter und ein paar Einwohner South Parks von Aliens entführt, die mehr über die Spezies Mensch erfahren wollen. Zu diesem Zweck nutzen die wissenshungrigen Besucher aus dem All Analsonden, mit denen sie ihren Opfern unangenehm nah auf die Pelle rücken. In den entfernten Szenen machen Mr. Sklave, Craig und Mr. Mackey Erfahrung mit den Aliensonden. Man selbst bleibt ebenfalls nicht von den Untersuchungspratiken verschont. In dem Minispiel muss man die Sonde auf etwas ungewöhnliche Art und Weise abwehren und sich aus den Fängen der Aliens befreien.
Um der Story trotz fehlender Szenen weiter folgen zu können, haben sich die Entwickler dafür entschieden, die Szenen durch Texttafeln zu ersetzen. In Europa informiert Michelangelos Davidstatue die Spieler über die verpassten Szenen, in Australien übernimmt ein weinender Koalabär die Aufgabe. Obwohl die Texttafeln die Szenen sehr nüchtern und kurz beschreiben, sind sie um einiges schlimmer als die eigentlichen Szenen. Hier tritt nämlich das Kopfkino gegen die rudimentären Grafiken des Spieles an. Ich weiß nicht, ob ich und meine Vorstellungskraft da eine Ausnahme bilden, aber in meinen Kopf waren die beschriebenen Szenen um einiges expliziter und – nennen wir es mal tiefgreifender, als sie es schlussendlich waren. Wahrscheinlich wurde meine Phantasie auch einfach allein durch die Tatsache beflügelt, dass Ubisoft sich gerade gegen diese Szenen entschieden hatte. In meinem Kopf musste das schon ziemlich harter Tobak sein, schließlich hält sich das Spiel an anderen Stellen alles andere als zurück. Kommt mal zum Kampf gegen die Unterhosenwichtel, dann wisst ihr, was ich meine. Bei der einen oder anderen Szene frag ich mich bis heute, wie die es durch die USK-Prüfung geschafft hat.
Zurück zu den Aliens. In dem Abschnitt wird das Spiel viermal durch Texttafeln unterbrochen. Einmal kann man so eine heftige Unterbrechung des Spielflusses ohne Probleme verkraften, beim zweiten Mal ist man schon ein wenig genervt. Beim dritten Mal haut man nur noch auf die Tasten, um möglichst schnell weiterspielen zu können. Versteht mich nicht falsch, wenn ich eins nicht vermisse in Spielen, dann sind das stupide Minigames. Die sind fast noch schlimmer als Quicktime-Events in Cutscenes. Aber es stört ungemein, die ganze Zeit auf so unschöne Art und Weise aus der Spielwelt geworfen zu werden. Die Tafeln sind vielleicht ein ganz guter Gag, aber sie reißen euch aus der Welt, die zuvor so mühevoll aufgebaut wurde. In der Abtreibungsklinik geht das Spiel wieder von vorne los. Schwangerschaftsabbrüche sind ein heikles Thema, das die Meinungen und Gemüter spaltet, aber dafür ist South Park ja bekannt.
Was den Ärger noch schürt ist, dass von den Kürzungen allein die Konsolenversion betroffen ist. In der PC-Variante sind alle Szenen enthalten. In einem Interview mit der Metro findet Matt Stone klare Worte für die Veränderungen, die an seinem Spiel vorgenommen wurden: “We’re talking about 30 or 40 seconds out of the whole experience but we wanted people to know exactly where the line was: this is what you couldn’t see but for some reason the rest of the world could and we have no idea why. It’s not cool – it’s lame, ridiculous and stupid.” (Wir reden hier über 30 is 40 Sekunden des gesamten Spiels, aber wir wollten, dass die Käufer genau wissen, wo die Grenze ist: Das hier konntet ihr im Gegensatz zum Rest der Welt aus irgendeinem Grund nicht sehen, und wir haben keine Ahnung, warum das so ist. Das ist nicht cool – es ist lahm, lachhaft und blöd.)
Interessant ist an dieser Stelle zu wissen, dass die PEGI (Pan European Game Information), die europaweit die Alterseinstufungen für Videospiele vornimmt, nichts mit den Abänderungen zu tun hat. Gegenüber der britischen Tageszeitung The Guardian betont ein Vertreter der PEGI, das Ubisoft selbst aus Marketinggründen die Szenen für den europäischen Markt entschärft hat. Obwohl die genauen Beweggründe von Ubisoft nicht offen kommuniziert wurden, kann man annehmen, dass der Publisher eine niedrigere Altersfreigabe für die Konsolenversion erwirken wollte. Dadurch erhöht sich nämlich nicht nur die Zahl der möglichen Käufer. Ein ab 16 Jahren freigegebenes Spiel lässt sich einfacher und wirkungsvoller vermarkten als ein Ab-18-Titel. An der PEGI-Altersfreigabe hat sich trotz der entfernten Szenen nichts verändert. Sowohl auf der PC- als auch auf der Konsolenversion klebt der Ab-18-Sticker. Bei der Bewertung durch die deutsche Prüfstelle USK hatten die Schnitte allerdings Auswirkungen. Während die PC-Version nur für volljährige Käufer zugänglich ist, kann man die Konsolenvariante schon mit 16 im freien Handel erwerben.
Es ist schade, dass Ubisoft sich dafür entschieden hat, bei der Konsolenversion auf eine so unelegante Art und Weise die Schere anzusetzen. Gut, Analsonden und Abtreibungsminispiele sind nicht gerade die Speerspitze des guten Geschmacks, aber das erwartet man auch nicht, wenn man ein Spiel kauft, auf dem dick und fett das “South Park”-Logo prangt. Ich erwarte dann gesellschaftskritische Inhalte, die genau dahintreten, wo es am meisten wehtut. Ich will, dass alles, das irgendwem lieb und teuer sein könnte, durch den Kakao gezogen wird und sämtliche Grenzen mit einem dicken Grinsen und beiden Füßen gleichzeitig überschritten werden. “South Park” balancierte schon immer auf dem herrlich schmalen Grad zwischen Gesellschaftskritik und Fäkalhumor. Genau das habe bei dem Spiel erwartet und auch bekommen. Sogar noch ein wenig mehr, denn so respektlos die Serie mit allem ins Gericht geht, was Amerika und dem Rest der Welt heilig ist, so sehr verneigt sich das Spiel vor seinen Fans.
Wer die Serie kennt und liebt, entdeckt an jeder Ecke Verweise und Anspielungen auf die Serie. Es ist bis oben hin vollgestopft mit Zitaten, seien es die im Spiel versteckten Chinpokomon oder die Stimme aus Stans Schrank, die sich wehement weigert, herauszukommen. Aber auch Spieler, die nur hin und wieder beim Zappen über “South Park” stolpern, werden den einen oder anderen bekannten Gag finden. Schließlich haben sich einige Sachen schon längst in unsere heutige Popkultur eingeschlichen und genießen Kultstatus.
“South Park: Der Stab der Wahrheit” ist eine tiefe Verneigung vor den Fans der Serie, die zusammen mit Stan, Kyle, Cartman und Kenny die Grenzen des guten Geschmacks ausloten und die bitterböse Kritik an den Mängeln unserer Gesellschaft zelebrieren wollen. Wer die Serie nicht mag, lässt halt die Finger vom Spiel. Für die ist es auch nicht gedacht.
Wenn ihr einen kleinen Einblick in das Spiel erhaschen wollt, könnt ihr euch Gregors Ausflug nach South Park bei uns im Blog anschauen. Seine Meinung zum gesamten Spiel hat er bereits in Folge 279 mit euch geteilt.
Jetzt seid ihr dran: Was haltet ihr von “South Park: Der Stab der Wahrheit”. Sind euch die Kürzungen egal oder greift ihr nun bewusst zur PC-Version? Schreibt eure Meinung in die Kommentare.