Senf ab: Resolutiongate
Seit einigen Monaten geistert ein Begriff durch die Gaming-Welt, der mich als Spieler nicht mehr loslässt. Angelehnt ist er an das geflügelte Wort, das seit einigen Jahrzehnten für eine der spektakulärsten Enthüllungen der Politikgeschichte steht. Die Affäre um die es geht, stürzte eine Regierung in die Krise und sorgte für einen empörten Aufschrei auf der ganzen Welt. Es handelt sich um die Watergate-Affäre Anfang der 70er-Jahre in den USA, die ihren Höhepunkt schlussendlich im Rücktritt von US-Präsident Richard Nixon fand.
Seit Sony und Microsoft Ende 2013 ihre neuen Entertainment-Systeme auf die Käuferschaft losgelassen haben, wird der Konsolenkrieg mit unvermittelter Härte geführt. Die Fan-Lager belauern sich wachsam, jede Bewegung des Opponenten wird argwöhnisch beobachtet. Doch seit die Plastikkästen nicht mehr nur Reliquien gleich auf Großveranstaltungen den jubelnden Massen aus der Ferne präsentiert werden, sondern in Wohnzimmern weltweit anzutreffen sind, wird der Ton zwischen den Anhängern stetig rauer.
Neben fundierten Kommentaren wie “Xbox Go Home” und “PS4 ist für n00bs” wird die Debatte immer häufiger in die technische Ecke verlegt. Hier wird dann der Boden für den oben bereits angerissenen Begriff bereitet. Aufgebrachte Spieler – aber vor allem auch die Fachpresse – haben sich auf eine Bezeichnung eingeschossen, die in Tokio und Redmond auf wenig Gegenliebe stoßen dürfte: “Resolutiongate” ist das Modewort der Stunde. Kein Begriff steckt die Fronten des Konflikts so exakt ab und drückt gleichzeitig die Ernüchterung der Fan-Gemeinde deutlicher aus. “Resolutiongate” – das steht weder für eine großangelegte Spionageaffäre wie der Namensvetter noch für irgendeine andere wirkliche Affäre, sondern eher für die Jagd der Spielerschaft auf das weiße Kaninchen. Für enttäuschte Erwartungen an die “Next Gen” der Heimkonsolen. Und das hat seine Gründe.
In Zeiten von 4K-Displays und bezahlbaren Fernsehern jenseits der 50-Zoll-Marke erscheint es vielen Spielern verwerflich, ja geradezu absurd, dass der nagelneue Hoffnungsträger im Wohnzimmer nicht in der Lage ist, Spiele in nativem 1080p wiederzugeben. Vor allem die Anhänger von Microsofts Xbox One werden seit einigen Wochen mit vermeintlichen Hiobsbotschaften bombardiert. So gibt ein Hersteller nach dem anderen kleinlaut zu, dass das versprochene Grafik-Highlight auf Xbox One nur in geringerer Auflösung dargestellt werden kann. Deshalb ist es auch eher das Microsoft-Lager, das die volle Härte des “Auflösungs-Skandals” zu spüren bekommt. PlayStation-Kunden lachen sich ins DualShock-umklammernde Fäustchen, die kluge Anmerkung “Ich hab’s von Anfang an gesagt” scheint allgegenwärtig.
Das eigentliche Problem liegt jedoch woanders. Sicher, eine Reihe von Spielen kann auf der Xbox One nicht wie erhofft in der Seelenheil-versprechenden 1080er-Auflösung gezeigt werden. Doch auch Sonys PS4 ist technisch nicht weit vom Rivalen entfernt und hier gibt es ebenso Titel, die trotz Full-HD keine Grafikbäume ausreißen und keinen wirklichen Unterschied zur vorigen Generation erkennen lassen. Genau das ist der Knackpunkt: Fans beider Lager werden seit Ankündigung der neuen Unterhaltungs-Kästen von allen Seiten mit Blender-Trailern überhäuft. Das war zwar früher auch schon so, allerdings hat der “Trailer-Krieg” im momentanen Konsolen-Wettbewerb ein neues Ausmaß angenommen. Das liegt zum einen daran, dass beide Systeme quasi gleichzeitig veröffentlicht wurden und die Studios mit Exklusiv-Deals groß abkassieren wollen. Zum anderen haben sich die Verbreitungsmöglichkeiten für Videos und Bilder wie auch der Stellenwert von Videospielen innerhalb der Gesellschaft seit dem letzten großen Konsolen-Launch grundlegend verändert. Über Instagram, Twitter und Smartphone-Apps dringt aufwändig geplante und geschickt platzierte Spiele-Werbung bis in die letzten Winkel des alltäglichen Lebens.
Spielen ist längst nicht mehr nur Beschäftigung für Geeks und Außenseiter, sondern – vor allem durch die Einführung von Smartphones und Tablets – in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Vorteil (und in gleichem Maße sicher auch Nachteil) der Entwicklung ist, dass Spiele heute sehr viel leichter zugänglich sind als noch vor einigen Jahren. Im Bus, im Wohnzimmer, auf der Toilette, aber eben auch im Klassenraum oder auf der Arbeit – überall wird gedaddelt. Mit der Verlagerung der Nachfrage verlagert sich auch das Angebot, so läuft das in der Marktwirtschaft. Kleine Geräte zum Mitnehmen und Multitasking-Systeme fürs Wohnzimmer werden immer attraktiver. Allerdings nur, wenn sie auch für die breite Masse erschwinglich sind. An genau dieser Stelle offenbart sich nun das wahre Dilemma: Die Grafik-Technologie hat in den letzten Jahren mächtige Fortschritte gemacht, aber die nötige Hardware ist noch nicht in dem Sinne massentauglich, wie viele es gern hätten.
Ein starker PC lässt die neuen Konsolen bei Multiplattform-Titeln schon heute schwach aussehen. Das ist in gewisser Weise schade, aber gute PC-Komponenten sind eben auch teuer, werden in ihren Dimensionen teilweise immer ausladender und machen sich auf der Stromrechnung bemerkbar. Und viele Spieler können mit einem PC schlichtweg nichts anfangen. Zu groß, zu teuer, zu unflexibel ist der oft schwere und sperrige Kasten. Also begeben sich viele Zocker auf die nächst tiefere Ebene der Gaming-Nahrungskette, auf der die Konsolen beheimatet sind. Die sind erschwinglich, leicht zu bedienen und bieten trotzdem gute Performance. Dabei sollte aber jedem Spieler mit ein wenig Übung in den Grundrechenarten klar sein, dass eine 400-Euro-Konsole bei weitem nicht die gleiche Leistung erzielen kann wie ein gewissenhaft zusammengestellter Gaming-Rechner, der deutlich mehr kostet. Klar, nicht jeder hat ständig das Geld für ein Premium-Menü – oft schmeckt eben auch Fast-Food. Nur darf man sich eben nicht wundern, wenn der Burger im Werbespot und auf dem Plakat viel besser aussieht als nachher auf dem Teller.
Damit sind wir wieder beim anfangs geschilderten Problem angelangt. Die meisten Werbeclips und Bilder zu Videospielen stellen nicht das dar, was später auf den meisten Systemen wirklich geboten werden kann. Für Trailer und die großen Messen wird Material produziert, das mit (Konsolen-)Ingame-Grafik in etwa so viel zu tun hat wie “Serious Sam” mit dem Schreiben von Kinderbüchern. Man muss der potenziellen Kundschaft eben einiges bieten, wenn man längerfristig im Gespräch bleiben und sich von der Masse abheben will. Die Quittung bekommen am Ende die Spieler, die sich blenden lassen und sich durch bombastische Bilder zum Kauf eines Spiels und vielleicht sogar eines komplett neuen Spielgeräts animiert fühlen. Sony und Microsoft kann das nur allzu recht sein.
Der Zoff ums “Resolutiongate” erscheint unter Berücksichtigung dieses Aspekts schlimmstenfalls als verschmerzbares Wehwehchen. In den Chefetagen der zwei Konzerne dürfte man sich sogar still und heimlich freuen, dass sich die Spielergemeinde lediglich über ein solches “Problemchen” auslässt. Nur dürfte man dort hoffen, dass das wache Auge der Community nicht zu häufig zum PC hinüberschielt – Vom “Texturegate” über das “Anti-Aliasing-Gate” bis hin zum “Tesselationgate” wäre in Zukunft noch der ein oder andere “Skandal” drin. Wirklich fürchten sollten sich die hohen Herren jedoch vor dem Platzen der Marketing-Blase. Ein “Trailer-Gate”, das wäre das wahre Gift im Kreislauf der Industrie. Wir und ihr wissen, dass Trailer Trailer sind und nicht zwangsläufig das echte Spiel abbilden. Früher oder später könnte das jedoch auch in den Köpfen der weniger informierten Masse ankommen. Die kauft zwar vielleicht eh nur ein “FIFA” und “Call of Duty” im Jahr, ist aber für die Hersteller dennoch wichtig, um Hardware im großen Umfang zu verkaufen und zu etablieren. Und auch Gelegenheitsspieler erwarten, dass ihre Spieler zumindest im Wesentlichen so aussehen, wie sie es in der Werbung gesehen haben, um sich nicht irgendwann enttäuscht abzuwenden.
Zu guter Letzt möchte ich mich persönlich noch als relativ ausgewogener Esser outen. Zwar stehe ich echt gern selbst in der Küche und ernähre mich mit Bedacht, allerdings kann und möchte auch ich nicht auf Fast-Food verzichten. Das kann man nämlich ganz lässig auf der Couch oder auch mal eben unterwegs mampfen. Über die Inhaltsstoffe muss man da eben manchmal großzügig hinwegsehen – denn letzten Endes zählt doch der Geschmack, oder?