Alkohol ist Teil unserer Alltagskultur. Da ist das Feierabendbier, ein Glas Wein zum Essen, der Cocktail unter Freunden oder der Rausch am Wochenende. Rund 115,8 Liter alkoholhaltige Getränke kippt der durchschnittliche Deutsche im Jahr. Und das seit einigen Jahren nicht nur an der Theke, sondern auch digital.

Ganz nach dem Motto “Ein Gläschen in Ehren kann keiner verwehren” kann man auch als John Marston (“Red Dead Redemption”) gehörig zulangen. Schaut man im Saloon zu tief ins Whiskeyglas, wird die Wahrnehmung verzerrt, die Grafik schwammig, die Steuerung zur Herausforderung. Der sonst so standfeste Cowboy stolpert durch die staubigen Straßen Armadillos und über die eigenen Füße. Kleine Alkoholeinlagen haben in Rockstar-Spielen Tradition. Steigt man in “GTA IV” angetrunken hinters Steuer, kassiert man augenblicklich einen Polizeistern. “Don’t drink and Drive” gilt halt auch im sonst von der Straßenverkehrsordnung wenig beeindruckten Liberty City.

Alkohol kann in Spielen mehr sein als eine grafische Spielerei. Im Albtraum-Knobler “Catherine” kann man sich spielerische Vorteile ertrinken. Gönnt sich Vincent am Abend vor den Puzzle-Sequenzen drei Drinks, hüpft er in der Traumwelt deutlich schneller durch die Rätselpassagen als ohne Alkoholspritze.

Bei “Skyrim” bekommt man das Gefühl, dass die Entwickler bei einigen Quests persönliche Erfahrungen verarbeitet haben. Betritt man in Ivarstatt die Gaststätte, fordert Sam Guevenne den Spieler zu einem Wetttrinken heraus. Im angetrunkenen Übereifer verspricht Sam seinen Stab als Belohnung. Und mal ehrlich: Wer sonst Drachen in mühevoller Handarbeit vom Himmel holt, scheut sich auch nicht vor so einer Herausforderung. Auf ein – zugegeben etwas unspektakulär inszeniertes – Trinkgelage folgt das Unvermeidliche: der Filmriss. Von einem Moment auf den anderen wacht man an einem unbekannten Ort auf, ohne Erinnerungen, ohne Orientierung, ohne Sam und blöderweise auch ohne den hart ertrunkenen Stab.

Stattdessen wird man von einer zornigen Dame als versoffener Gotteslästerer beschimpft. Mit einem ziemlichen Schädel muss man nun nicht nur die eigenen Erinnerungen, sondern auch Sam wiederfinden. Beim Verlassen des Tempels stellt man dann fest, dass man sich in Markarth befindet. Am völlig anderen Ende von Himmelsrand. Man hat also nicht nur eine ordentliche Menge Alkohol vernichtet, sondern auch viele Kilometer zurückgelegt. Und eine Ziege geheiratet – das behauptet jedenfalls die zornige Priesterin.

Alkohol ist in “GTA”, “Red Dead Redemption” oder “Skyrim” kein bestimmendes Element. Es ist ein kleines Gimmick, eine Ablenkung, die man entdecken kann, aber nicht muss. Es gibt aber auch Games, die das Thema Alkohol in den Mittelpunkt stellen. Ein Beispiel dafür stammt aus der kanadischen Indieschmiede Minority und heißt “Papo & Yo”. Das Spiel ist nicht nur ein optisch ansprechender Adventure-Puzzler, sondern ein schon fast kathartisches Projekt für den Creative Director Vander Caballero. In seinem Erstlingswerk verarbeitet Caballero die Alkoholsucht seines Vaters.

Im Spiel übernimmt man die Rolle des Jungen Quico, der vor seinem betrunkenen Vater in eine Fantasiewelt flüchtet. Ähnlich wie Alice ins Kaninchenloch schlüpft Quico durch eine mit weißen Strichen an der Wand angedeutete Tür in eine alternative Welt. Diese erinnert mit ihren bunten Fassaden an die brasilianischen Armenviertel, die Favelas. In dieser menschenleeren Welt begegnet der Junge einem elefantenähnlichen Monster, das die meiste Zeit friedlich in der Sonne döst oder sich mit Kokosnüssen von Quico durch die Gegend führen lässt.

Das Monster bleibt allerdings nicht dauerhaft friedlich. Aus der Kanalisation klettern immer wieder grüne Frösche, die das Monster geradezu magisch anlocken. Sie machen es zur wütenden Bestie, die rücksichtslos alles angreift, was sich ihr in den Weg stellt. Selbst vor Quico macht die Zerstörungswut des Monsters nicht halt. Nur verfaulte Kokosnüsse können das Gemüt der Bestie wieder beruhigen. “Papo & Yo” ist mit drei bis vier Stunden Spielzeit nicht sonderlich lang und die Rätsel sind recht simpel. Das macht es aber nicht zu einem schlechten Spiel, denn es lebt von den Emotionen, die mit der Reise Quicos verbunden sind.

“Für meine Mutter, Brüder und Schwestern, mit denen ich das Monster in meinem Vater überlebt habe” – Die Widmung zu Beginn des Spiels macht direkt klar: “Papo & Yo” ist kein fröhlicher, unbeschwerter Spaziergang mit Rätseleinlagen. Die Grundstimmung ist trotz der bunten Kulisse melancholisch, die Geschichte rund um Sucht und deren Folgen ungemütlich und beklemmend. Wer sich auf das Spiel aber einlässt, lernt darin die ganz persönliche und emotionale Geschichte von Vander Caballero kennen.

Alkohol führt zu den meisten behandlungsbedürftigen Suchterkrankungen. 2009 betrug der Pro-Kopf-Konsum an reinem Alkohol in Deutschland 9,7 Liter. Im weltweitem Vergleich rangiert Deutschland damit auf Platz 11, nur die Menschen in Tschechien, Estland, Irland, Frankreich, Österreich, Portugal, Ungarn, Slowenien, Litauen und Luxemburg trinken mehr. Zwischen 1,3 und 2,5 Millionen Menschen gelten in Deutschland als alkoholkrank oder gefährdet. 250.000 von ihnen sind jünger als 25. 2009 starben 73.000 Menschen durch die Folgen übermäßigen Alkoholkonsums. Der volkswirtschaftliche Schaden, also die Kosten, die durch Alkoholmissbrauch entstehen und von der Allgemeinheit getragen werden müssen, waren enorm. Die Aufwendungen für das Gesundheitssystem, die Rentenzahlungen, Lohnausgleich wegen krankheitsbedingtem Ausfall, aber auch die Ausgaben für zum Beispiel Gerichts- und Polizeikosten bei Unfällen wegen Trunkenheit am Steuer betrugen 24,4 Milliarden Euro. Dieser Summe standen etwa 2,2 Milliarden Euro Steuereinnahmen durch den Verkauf von alkoholischen Getränken gegenüber.

Solche Zahlen sind zwar einerseits erschreckend, aber auch abstrakt und schwer zu greifen. Hinter diesen nackten Zahlen verstecken sich immer Schicksale, die durch Alkohol(sucht) geprägt werden. Wie zum Beispiel die Kindheit von Vander Caballero. Die Widmung zu Beginn und die eindeutige Bildsprache in “Papo & Yo” erlauben dem Spieler keine Interpretationsfreiheit wie beispielsweise “Journey”. Das Thema Alkohol und seine Folgen sind omnipräsent, die Aussage des Spiels ist stets eindeutig. Das ist allerdings kein Makel, sondern die große Stärke von “Papo & Yo”. Spiele wie dieses verknüpfen nüchterne Zahlen mit menschlichen Schicksalen und vermitteln eindringlich, was passieren kann, wenn aus Genuss in Maßen Genuss in Massen wird.

Alkohol ist ein schon fast unausweichlicher Teil unseres Alltages. Auch wenn man ihn nicht tagtäglich trinkt, wird man ständig mit ihm konfrontiert. Vor allem hier in Deutschland, wo man in jedem Supermarkt, jedem Kiosk und an jeder Tankstelle eine Flasche Schnaps kaufen kann. Viele selbsternannte Jugendschützer fürchten bei den Gimmick-Alkoholpassagen in AAA-Titeln gleich um das Wohl der Jugend. So gravierend ist die Gefahr meiner Meinung nach nicht. Zahlreiche Titel, die das Thema in ihren Spielablauf einflechten, sind aus gutem Grund erst ab 16 oder 18 Jahren freigegeben. Selbst wenn jüngere Spieler die Titel in die Hände bekommen, sind die Alkoholpassagen nur eine kleine Nebentätigkeit, die nicht zwangsläufig absolviert werden muss, so dass sich der Einfluss auf das Verhalten des Spielers in Grenzen hält. Viel wichtiger in diesem Diskurs sind Spiele wie “Papo & Yo”, die Alkohol und dessen Folgen zu einem zentralen Motiv erheben und den Spieler zum Nachdenken anregen.

Wie findet ihr die hochprozentigen Ausflüge der Spieleentwickler? Haltet ihr Alkoholkonsum und Sucht für ein angemessenes Thema in Spielen oder hat es darin nichts verloren?