“Spielen macht klug” – das behauptet jedenfalls der aktuelle Titel von “DER SPIEGEL”. Das Nachrichtenmagazin will beweisen, dass Videospiele mehr sind als Ausbildungswerkzeuge für potenzielle Attentäter. Sieben aufwändig gestaltete Seiten lang nimmt sich das Magazin Zeit für unser liebstes Hobby und erklärt, dass Spielen nicht nur Zeit verschwendet, sondern unseren Geist schärfen, Krankheiten heilen und eine neue Form des zwischenmenschlichen Umganges ermöglichen kann.

Videospiele steigern die Denk- und Gedächtnisleistung, verbessern das räumliche Vorstellungsvermögen und wirklich einsam sind die Leute in diesen Onlinespielen ja auch nicht. Sie kommunizieren über Chatfunktionen miteinander und formen Allianzen, um ihr Ziel zu erreichen. Fast wie auf dem Bolzplatz. Bei dieser Argumentationskette bemerkt man vor allem eins: Der Artikel ist alles andere als aktuell. Hätte die zuständigen Redakteure bei ihren Kollegen von “SPIEGEL ONLINE” vorbeigeschaut, wäre ihnen aufgefallen, dass diese 2004 schon einen ähnlichen Artikel mit nahezu denselben Argumenten und Studien verfasst haben.

Gamification, Serious Games und Educationspiele sind zwar kein Schnee von gestern, aber auch nicht das Innovations-Schlachtschiff, zu dem der Artikel sie macht. Videospiele steigern nicht die Aggressivität, die Suchtgefahr von Spielen ist deutlich niedriger als bei Alkohol und ohnehin muss jedes Medium überzogene Kritik einstecken, bevor es akzeptiert wird. Im 18. Jahrhundert waren Bücher der Untergang der Jugend. Exakt diese Argumente habe ich bei einer Diskussionsrunde während meiner Schulzeit auch benutzt. Blöd nur, dass ich meinen Abschluss vor fünf Jahren gemacht habe.

Trotz der positiven Grundeinstellung der Redakteure gegenüber Spielen bleibt ein fader Beigeschmack beim Lesen: Videospiele scheinen einen Lebensberechtigungschein besitzen zu müssen. Sie können und sollen gesellschaftlich akzeptiert werden, aber nur wenn sie einen Mehrwert mitbringen. Sie müssen Lehrer, Arzt und Wirtschaftsfaktor sein, ein reines Unterhaltungsmedium ist nicht akzeptabel. Fesselnde Geschichten, geheimnisvolle Welten, emotionale Achterbahnfahrten – das scheint für ein Game nicht zu reichen, um sich einen kulturellen Wert zu erarbeiten. Sie müssen mehr leisten als Filme, Serien, Bücher, Musik, Oper oder Theaterstück.

Jeder, der sich in seiner Freizeit mit Spielen auseinander setzt und sich gerne mit ihnen beschäftigt, wird in dem Artikel keine neuen Informationen finden. “Super Mario” ist ein Jump ’n’ Run, Shooter sind nicht so böse wie alle tun und David Cage ist das angebliche Innovations-Wunderkind der Branche. Man muss aber bedenken, dass dieser Text nicht für Gamer geschrieben wurde. “DER SPIEGEL” erreicht jede Woche ungefähr sechs Millionen Leser, und ich wage mal zu behaupten, dass das Meinungsbild vieler Leser eher vom berühmt-berüchtigten Killerspiel geprägt ist. Viele sind wahrscheinlich selbst Eltern, die verwundert im Türrahmen des Kinderzimmers stehen und sich fragen, warum der Sohnemann wie wild auf der Maus herumklickt. Genau für diese Menschen, die sich sonst nicht oder kaum mit dem Thema Games auseinander setzen, ist der Artikel geschrieben.

Er ist ein angenehmer und leichter Einstieg in die Materie. Der Artikel bezieht deutlich und vehement Stellung gegen die in Medien-Deutschland weitverbreitete Killerspiel-Denke und zeigt einen kleinen Abriss der Videospielgeschichte und die aktuelle Lage der Branche. Das Wichtigste an dem Artikel aber wahrscheinlich ist, dass er nicht als Seitennotiz auf die letzten Seiten verbannt wurde. Neben Politik und Wirtschaft scheinen nun auch Videospiele genug Relevanz zu haben, um eine Titelstory wert zu sein. Klar, es ist ein wenig zu spät und “Die Zeit” und “SPIEGEL ONLINE” zeigen, wie Berichterstattung über Videospiele abseits des Fachjournalismus besser geht, aber eine Titelstory im Print-“SPIEGEL” ist trotzdem ein dickes Ding. Es ist ein deutliches Zeichen, dass Videospiele ihr Nischendasein für Nerds und Geeks aufgegeben haben und wichtiger Aspekt unserer kulturellen Lebens sind. Dieses Zeichen geht nun mal nicht raus an uns Spieler. Wir haben das ja schon verstanden.