Senf ab: Wie Spiele uns berühren
Eigentlich sind es doch nur Pixel. Bildpunkte, die in einer bestimmten Form angeordnet sind. Angeordnet in einer nicht realen Welt. Einer nicht realen Welt, in der nicht reale Personen so tun, als würde sie Dinge aus der realen Welt nachahmen. Kurz gesagt, es ist nicht echt. Ich bin mir dieser Tatsache mehr als bewusst und trotzdem berührt mich das Gezeigte so stark, dass mir die Tränen zuhauf die Wangen hinunterkullern. Wenn Videospiele eine solche Emotion auslösen, dann haben die Entwickler etwas Besonderes geschaffen. Genau wie im Film oder in der Literatur ist es eine Herkules-Aufgabe, eine tiefe Bindung zum Rezipienten aufzubauen. Man muss dazu sagen, dass eine solche Bindung kein Muss für ein gelungenes Erlebnis sein muss. Wenn ein Videospiel aber Wert auf eine mitreißende Geschichte und glaubhafte Charaktere legt, spielt das Aufbauen von Empathie beim Spieler eine große und entscheidende Rolle.
Die ersten 20 Minuten von “The Last of Us” sind ein Paradebeispiel dafür, wie Videospiele erfolgreich Emotionen vermitteln können. Genau wie damals Aeriths Tod in “Final Fantasy VII”. Der Tod kann ein sehr starker Trigger für Emotionen sein. Doch wie unterscheidet sich der Tod bestimmter Personen vom Massensterben in Shootern wie “Call of Duty”? Denn wir weinen nicht bei jedem Soldaten, der durch unsere Hand ins Gras beißt. Wir müssen Mitgefühl für die gezeigte Situation oder die entsprechende Person entwickeln. Dies erreichen die Entwickler meist durch Charaktere, denen die Zeit und die Persönlichkeit gegeben wird, um mit dem Spieler eine enge Bindung eingehen.
Eine andere Möglichkeit ist das Brechen von Tabus, um eine schockierende oder mitfühlende Reaktion hervorzurufen. Das kann der Gewaltexzess im indizierten “Manhunt” sein. Auch Kinder können wie im bereits genannten “The Last of Us” ein Werkzeug sein, um starke Emotionen hervorzurufen, da sie im Allgemeinen die Verkörperung von Unschuld sind.
Andere Spiele bedienen sich einfachster Metaphern und Gestaltungsmöglichkeiten, die es dem Spieler erlauben, sich mit dem Gezeigten zu identifizieren. “Journey” ist ein gutes Beispiel, wie mit simplen Mitteln eine emotionale Erfahrung geschaffen werden kann. Dort ist die beinahe meditative Reise des Protagonisten Sinnbild des Lebens. Obwohl es schwer zu definieren und zu greifen ist, kann auch eine bestimmte Ästhetik emotionale Reaktionen hervorrufen. Das können wie in “Journey” weite und malerische Landschaften sowie das Spiel mit visueller Wärme und Kälte sein. Ästhetik wird in der Kunst oft als etwas definiert, was den Blick des Betrachters auf sich lenkt. Eine andere Position beschreibt Ästhetik als einen Vorgang zwischen Sender und Empfänger: Ästhetik ist subjektiv und persönlich, da sie auf individuellen Erfahrungen beruht. Diese Verbindung kann auch zwischen Videospiel und Spieler erzeugt werden und dadurch verschiedene Reaktionen im Spieler hervorrufen.
Wir Menschen haben zudem die Fähigkeit, uns in andere Menschen hineinzuversetzen. Das, was wir sehen, hören und erfahren, kann Emotionen in uns auslösen, ohne dass wir direkt involviert sein müssen. Diese Fähigkeit ist notwendig, um die in einem Spiel vermittelten Emotionen aufzunehmen und umzuwandeln. Wir als Spieler sind also aktiv gefordert, uns mit dem Gezeigten auseinander zu setzen, ansonsten bleiben die Intentionen der Entwickler erfolglos. Ich persönlich kann mich gut in bestimmte Situationen hineinversetzen, um mich von einem Spiel emotional berühren zu lassen. Es kommt nicht selten vor, dass mich Szenen zum Weinen bringen oder mit großer Freude erfüllen, wenn Emotionen gut vermittelt werden und das Ganze nicht wie mit dem Vorschlaghammer ins Spiel geprügelt wirkt. Letzteres kann bestimmte Szenen schnell “cheesy” und aufgesetzt wirken lassen. Wenn Emotionen erzwungen werden, verpufft der angedachte Effekt und das Spiel verliert meine Aufmerksamkeit.
Aber warum möchte ich mich emotionalen Momenten in Videospielen überhaupt aussetzen? Ist mein Leben nicht aufregend und emotional genug? Zum einen mag es daran liegen, dass um diese Emotionen im besten Fall immer noch ein sehr gutes Videospiel gebaut ist. Gameplay und Grafik motivieren mich ebenso, mich mit einem Spiel zu beschäftigen. Zum anderen WILL ich ja – wie bei Filmen und Büchern – in fremde Welten abtauchen und mich von ihnen vereinnahmen lassen. Wenn ich mir also eine alternative Realität oder einfache Fiktion vorgaukeln lassen möchte, müssen bekannte Emotionen als Verbindungsglied herhalten, um Assoziationen zu eigenen Erfahrungen herzustellen.
Damit uns Spiele also berühren, braucht es eine aktive Beziehung zwischen Spiel und Spieler. Diese entsteht nur, wenn das Spiel eine glaubwürdige Umgebung mit “realen” Charakteren kreiert und ich als Spieler dazu bereit bin, mich darauf einzulassen. Das empathische Empfinden des Spielers ist essenziell, um von einem Spiel berührt zu werden, genau wie die Entwicklung von Charakteren und ihrer dadurch glaubhaften Emotionen. Wenn alles im richtigen Mix zusammenkommt, entsteht ein Spielerlebnis, bei dem ich glücklich bin, wenn es mich auch mal traurig macht.