Senf ab: Wenn das Hobby zur Arbeit wird
Ich kann mich genau an den Tag erinnern, an dem das hier alles angefangen hat. Zu meiner Einschulung bekam ich einen Game Boy samt “Tetris” geschenkt und seit diesem Tag begleiten mich Videospiele durch den Alltag. Nach gut 21 Jahren des Zockens bin ich in einer Redaktion angelangt, in der ich mich nicht mehr nur in meiner Freizeit mit Videospielen befassen “muss”. Und nun fange ich an, mir Fragen zu stellen. Fragen, die sich sicher auch der eine oder andere Redakteur, Kritiker und Tester schon gestellt hat:
Kann es sein, dass ich irgendwann den Spaß am Spielen verliere, wenn ich mich täglich damit auseinandersetzen muss?
Um noch etwas weiter auszuholen: Zocken ist schon lange kein einfaches Hobby mehr. Es ist zur Leidenschaft geworden, die mein Leben maßgeblich beeinflusst. Ich bin zwar sehr dörflich aufgewachsen und war viel mit meinen Freunden draußen, doch strahlende Sonnentage waren nicht immer gleich ein Grund zum Rausgehen. Vor allem nicht mehr, als der erste eigene Fernseher ins Zimmer kam und PlayStation sowie N64 daran angeschlossen wurden. Zudem hatte ich mein Zimmer im Keller, so dass es auch im Sommer immer schön kühl war. Warum also noch rausgehen, wenn schon in der Welt von “Turok” das Klima tropisch ist?
Wenn sich eine Chance zum Zocken ergab und meine Eltern mich nicht zum Atmen von Frischluft zwangen, dann hab ich gezockt. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Mit Arbeit hatte das früher nichts zu tun. Ich hatte bis vor kurzem aber auch nie den Drang, mich in diese Richtung zu entwickeln. Um Spiele zu programmieren, war ich nie gut genug in Mathe und hab mich auch nicht groß für Informatik interessiert. Um Journalist in einer Fachzeitschrift zu werden, fehlten die Möglichkeiten und der richtige Drang zum Schreiben. So konnte ich mich auf das Spielen an sich konzentrieren. Und das ist doch auch das Tolle daran. Wir nehmen einfach das Gamepad oder Maus und Tastatur in die Hand und legen los. Ganz ohne Zwang, einfach spielen.
Die Situation änderte sich mit dem Studium. Hausarbeiten und Recherche bestimmten meinen Alltag. Sachliches Schreiben lernte ich dabei schnell. Das Spielen rückte zu der Zeit leicht in den Hintergrund. Als die Wissenschaft dann allmählich zu langweilig wurde, fing ich zum Spaß als freier Spieletester an. Ich schrieb Testberichte im Internet. Spiele geschenkt zu bekommen und ein, zwei Seiten in freier, persönlicher Form dazu zu verfassen, war ein guter Deal. Diese Aufgabe brachte aber die ersten Einschränkungen mit sich, denn die Tests mussten immer innerhalb eines kurzen Zeitraums verfasst werden. Um ein Spiel gründlich und mit echter emotionaler Beteiligung durchzuspielen, war keine Zeit. Das Spielen wandelte sich langsam vom Vergnügen zur Verpflichtung.
Wie ist es jetzt? Ich bin den ganzen Tag umgeben von Konsolen und immer auf der Suche nach dem neuesten Hit. Wir spielen Spiele, die uns gefallen und suchen kreative Wege abseits von 08/15-Tests, dir wir mit ein bisschen Glück zumindest manchmal finden. Bei allen persönlichen Spielepräferenzen kommen aber auch wir nicht um die großen AAA-Titel herum, obwohl wir manche davon vielleicht gar nicht mehr sehen können. Dabei dem Zeitgeist auf der Schliche zu sein und zu versuchen, Spielen immer wieder was abzugewinnen, ist oftmals aufreibender als man es sich von außen vorstellt.
Wer sich hier über einen längeren Zeitraum mit einem Spiel auseinandersetzt, trägt ein großes Stück Verantwortung mit sich herum. Die Zeit, die einem dafür zur Verfügung gestellt wird, muss effizient genutzt werden und ein ansprechendes Ergebnis hervorbringen. Und trotzdem darf der Spaß am Spielen niemals zu kurz kommen, denn ohne Spaß würde euch schließlich auch das Ergebnis keinen Spaß und das Arbeiten hier keinen großen Sinn machen.
Es ist also wichtig, eine Art Gleichgewicht herzustellen. Auf der einen Seite muss ein Bewusstsein für einen professionellen Umgang mit der Videospielkultur geschaffen werden. Auf der anderen Seite sollte man immer versuchen, seine Leidenschaft und die Faszination für Videospiele am Leben zu erhalten. Das kann gerade bei Erfolg auch schwierig werden, denn wenn das eigene Hobby zum Lebensunterhalt mit anderen geteilt wird, wächst mit dem Bekanntheitsgrad auch der Druck. Irgendwann kann es passieren, dass man den Punkt erreicht, an dem man wie eine Maschine Content für seine Fans, Zuschauer, Abonnenten raushauen muss. Dann wird man unter Umständen auch seinen eigenen Umständen nicht mehr gerecht. Und schon hat der einstige Traumjob mit Spaß nicht mehr viel zu tun.
Das muss in diesem drastischen Umfang nicht passieren, bei nahezu jedem Arbeiter innerhalb der Videospielmedien ändert sich aber auch die Wahrnehmung von Videospielen. Das Staunen und das leidenschaftliche Erfahren wandeln sich zu kritischem und analytischem Handeln.
“Hab ich schon tausend Mal gesehen.”
“Das macht das andere Spiel besser.”
“Toll, der zwanzigste Ego-Shooter dieses Jahr.”
Dann können Spiele einen eventuell nicht mehr “berühren”. Man neigt zum Pauschalisieren, Wertungen fallen vorschnell nach oberflächlicher Betrachtung. Dabei können viele kleine Details übersehen werden und vor allem kommt die persönliche Bindung zu kurz. Und das persönliche Empfinden gegenüber einem Spiel ist ja genau das, was diese “Beziehung” so besonders macht. Wenn ich ein Spiel mag, spiele ich es. Wenn ich es von vornherein ablehne und eine “abgeklärte” Sicht an den Tag lege, verpasse ich die Chance, mich überhaupt in ein Spiel zu verlieben.
Es ist darum sehr wichtig, eine gesunde Mischung zwischen beruflicher Verantwortung und leidenschaftlichem Erlebnis zu finden. Das bedeutet, dass ich mich immer wieder neu fordern muss. Ich muss mich selber motivieren. Selber nach neuen Dingen suchen, die mich antreiben, über sie nachzudenken, sie auszuprobieren. Es ist wichtig, aus Empathie heraus über Spiele zu berichten – nicht aus Zwang und Kalkül. Nur so kann man guten Content erschaffen.
Die harte Arbeit ist also nicht das Spielen an sich, sondern das Suchen und Finden neuer, interessanter Möglichkeiten, um das Spiel und das Spielen zu vermitteln. Dabei sollte man bei der Arbeit unbedingt über den Tellerrand schauen. Ich weiß aber, dass man sich stets gerne an bekannten und gewohnten Dingen orientiert. Neues birgt immer das Risiko, nicht zu funktionieren. Trotzdem ist dies wichtig, denn die Fließbandproduktion von immer gleichen beziehungsweise ähnlichen Inhalten beißt sich mit der hoffentlich vorhandenen Leidenschaft.
Leidenschaft, besonders im Berufsleben, kann nur durch kreative Prozesse und Mut zur Eroberung von unbekanntem Gebiet weiterleben. Das ist natürlich abhängig von gegebenen Strukturen und äußeren Einflüssen. Grundsätzlich entspringt sie jedoch dem eigenen Antrieb und der Liebe zur Videospielkultur. So lange ich mich also dieser Leidenschaft offen hingebe und mich nicht zu sehr in Routine verliere, bleibt mir der Spaß am Spielen (hoffentlich) noch erhalten.