Als das maßlos überschätzte Pop-Püppchen Lady Gaga damals in diesem Fleisch-Dress auf die Bühne kam, dachte sich der eine oder andere von euch wohl: “Wow, die ist wirklich irre.” Und ist damit natürlich direkt auf den ältesten PR-Trick der Welt reingefallen. Sich mit bekloppten Klamotten zu behängen, in der berechtigten Hoffnung darauf, mehr CDs zu verkaufen, ist nicht irre, noch nicht mal sonderlich originell. Nein, die wahren Irren, das sind meist die Stillen. Die, unbeachtet vom Mainstream, jahrelang entschlossen den schmalen Grad zwischen harmloser Exzentrik und hemmungslosem Wahnsinn abwandern. Deutschland hat diese Irren. Zum Glück. Sie heißen Studio Braun, bestehen aus Heinz Strunk (“Fleisch ist mein Gemüse”), Rocko Schamoni (“Dorfpunks”) und Jaques Palminger (The Kings of Dub Rock ) und sie haben mit “Fraktus” einen Film im Gepäck, der anders ist als alles, was in diesem Jahr im Kino lief.

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Prominentestes Mitglied der experimentellen Musik-/Film-/Theater-Gruppe Studio Braun ist sicherlich Heinz Strunk, dessen epochales Sittengemälde “Fleisch ist mein Gemüse” mittlerweile zum festen Bestand deutscher Haushalte gehört und das ich persönlich in der Hörbuchfassung rund zwei Dutzend mal gehört habe. Aber erst im Verbund mit seinen Mitstreitern Schamoni und Palminger entwickelt sich im Strunk-Kosmus diese gewisse Dynamik, die dem Hamburger Theaterpublikum mit Worten kaum zu beschreibende Erfahrungen schenkte wie das Stück “Rust – Ein deutscher Messias” über Hobbypilot Mathias Rust, der 1987 auf dem Roten Platz in Moskau landete und von dem speziell Heinz Strunk seit jeher fasziniert ist. Nun also ein Kinofilm von Studio Braun. Teils befürchtet, teils erhofft man das Schlimmste.

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“Fraktus” erzählt vom Comeback-Versuch der gleichnamigen Techno-Formation, die mit krudem, gesellschaftskritischem Minimal-Electro im Deutschland der 80er Jahre Wegbereiter für eine gesamte Jugendbewegung waren. Westbam, Yello, Marusha, Trio, Blixa Bargeld – sie alle wären undenkbar ohne die Pionierarbeit der drei Musik-Ästheten von Fraktus. Wer weiß schon, dass Westbam das mittlerweile legendäre Rave-Signal aus “Sonic Empire” frech aus einem alten Fraktus-Hit geklaut hat? Niemand! Und das darf nicht so bleiben, findet Musikproduzent Roger Dettner (Devid Striesow). Er will die Ur-Miglieder von Fraktus, Dickie Schubert, Bernd Wand und Torsten Bage, zu einem großen Comeback überreden. Das Problem ist nur: Die drei Querköpfe haben sich seit der Bandauflösung 1983 furchtbar verkracht und reden heute kein Wort mehr miteinander…

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Ihr ahnt schon den Gag: Die Band Fraktus ist fiktiv. Hat es nie gegeben. “Fraktus” ist eine so genannte Mockumentary, also ein als “garantiert echte” Dokumentation getarnter Spielfilm. Strunk, Schamoni und Palminger liefern mit “Fraktus” eine herrliche Parodie auf das Musikbusiness ab. Fraktus, das sind drei liebenswert bekloppte Volltrottel, die schwanken zwischen fataler Selbstüberschätzung und echter Liebe zu ihrer Kunst und ihrer Freundschaft. Wenn die drei nach Jahrzehnten der Bühnenabstinenz einen (echten!) Auftritt beim berühmten Melt!-Festival vergeigen und als Suppenkasper in einem grauenvoll belanglosen Eurodisco-Video verheizt werden, verspürt man bei allen Lachern echtes Mitleid. Und fragt sich unweigerlich, was schlimmer ist: Das diletantische Rumgepiepe der Fraktus-Kasper – oder die Herz- und Seelenlosigkeit der professionellen Musikbranche, die sich dem Massengeschmack anbiedert und ihr Publikum mit den immergleichen Balla-Balla-Beats verblödet. Vielleicht beides.

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Die Studio-Braun-Truppe hat sich die Rollen auf die Leiber geschrieben und geht im Zirkus der vermeintlichen Authentizität voll auf. Der eigentlich recht besonnene Heinz Strunk gibt sehr überzeugend den latent aggressiven Vollproleten Torsten Bage (mit Arschgeweih!), der als Musikproduzent auf Mallorca Reibach macht. Während Dickie Schubert alias Rocko Schamoni mittlerweile ein eigenes Internetcafé-Café besitzt (Motto: Surf ’n Schlurf) und sich noch immer für einen brillanten Musiker hält (“Wir sind wie ein Schmetterling: Meine Mitmusiker sind die Flügel, aber ich bin der Körper in der Mitte”), arbeitet das verschrobene Muttersöhnchen Bernd Wand (Jaques Palminger) als Optiker und spielt mit seinen Eltern atonale Hausmusik in “Fraktus 2”. Gerade Palminger mit seinem asymmetrischen Haarschnitt und seinen typisch verqueren Schachtelsätzen fasziniert und verstört gleichermaßen. Die tragischen Fraktus-Helden sind meistens peinlich, oft lächerlich, aber nie ganz unsympathisch. Das muss man auch erst mal hinkriegen.

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“Fraktus – Das letzte Kapitel der Musikgeschichte” ist, gemessen am sonstigen Braun-Output, vergleichsweise zahm. Somit kann ich auch all jenen, die mit Auspuffmännern, dem Gurkitier und Mariacron nichts anfangen können, den Kinobesuch ruhigen Gewissens ans Herz legen. “Fraktus” ist skurril, fremdschämig, bisweilen fast berührend – aber vor allem sehr, sehr witzig.

Und wer es schafft, dass gestandene Musiker von Weltrang in getürkten Interviews diesen Quatsch bierernst mitmachen, hat sowieso Bewunderung verdient. Affe sucht Liebe – hier hat er sie gefunden.

“Fraktus” läuft ab dem 8. November im Kino. Wer jetzt noch immer nicht überzeugt ist, sollte sich hier den Trailer ansehen.