Fünf Jahre können sich sehr lang anfühlen. Zum Beispiel beim Warten auf den Bus. Sie können aber auch wie im Flug vergehen: Vor fünf Jahren spielte Tobey Maguire in “Spider-Man 3” zum letzten Mal den Spinnenmann. Und nun ist es für Sony Pictures bereits an der Zeit, die Geschichte zum Nullpunkt zurückzudrehen: In “The Amazing Spider-Man” (Kinostart war am 28. Juni) wird wieder mal ein junger Peter Parker zum beschwingten Superhelden. Und wieder mal taucht ein nicht minder außergewöhnlicher Gegenspieler auf, um Spider-Mans Fähigkeiten auf die Probe zu stellen.

Der neue Spider-Man wird gespielt von Andrew Garfield. Für den 28 Jahre alten Schauspieler, zuletzt im Facebook-Film “The Social Network” als früher Zuckerberg-Gefährte Eduardo Saverin zu sehen, wird diese Rolle der endgültige Massenmarkt-Durchbruch. Denn Garfield ist einer der großen Pluspunkte des Films: Trotz seines vergleichsweise hohen Alters nimmt man ihm den unsicheren Teenager ab. Man schmunzelt darüber, wie er unbeholfen und verlegen mit seiner Mitschülerin Gwen Stacy anbändelt, die ebenso liebenswert von Emma Stone dargestellt wird. Paradoxerweise wirkt Stone für ihre Rolle allerdings ein wenig zu alt – obwohl sie fünf Jahre jünger ist als Garfield. Die unausweichliche Liebelei zwischen Peter und Gwen entspinnt sich entspannt, zwischenzeitige Zerwürfnisse und Gefühlschaos bleiben weitgehend aus.

Der Rest der Handlung ist dafür denkbar konventionell, was aber auch durch die Eckpfeiler der Spider-Man-Genese bedingt ist: Natürlich gibt’s einen Spinnenbiss, amüsante Verwirrung über erstaunliche Fähigkeiten und das immer bessere Kontrollieren eben dieser. Dann wird erst der Schul-Rüpel brüskiert, bevor es auf die Zeitraffer-Jagd nach dem Mörder von Peters Onkel Ben (Martin Sheen) geht. Nebenbei dreht noch ein Wissenschaftler hohl: Dr. Curt Connors (Rhys Ifans) wird nach einer von der verständlichen Hoffnung auf einen zweiten Arm ausgelösten Verzweiflungstat zeitweise zum widerwärtigen Lizard. Die Handlung ist vorhersehbar und bemüht sich kaum um neue Schwerpunkte oder eine individuelle Inszenierung. Erwartet von “The Amazing Spider-Man” also kein Reboot mit der Konsequenz von Nolans “Batman”-Filmen.

Gelungen ist der Streifen dennoch, denn Immer wieder gibt es amüsante Momente: Mal ruft Peters Tante May (Sally Field) an und erinnert ihren Neffen an eine Packung Bio-Eier – während dieser kostümiert auf einem Hausdach hockt. An anderer Stelle verpasst ein älterer Herr eine in nächster Nähe tobende Schlacht zwischen Spider-Man und Lizard, weil er seine betagten Ohren mit Klassik aus Kopfhörern beschallt. Der Film nimmt sich erfreulich wenig ernst und so ist man auch über seine groben Logiklöcher nicht böse – im Gegenteil. Sie sind Bekenntnis zu einer Comic-Welt, die eben nicht nach unseren Regeln funktioniert: Dass der bereits zum Gelegenheitslurch mutierte Dr. Connors allein und über Nacht ein voll funktionsfähiges Labor in der New Yorker Kanalisation einrichtet, kann man natürlich bescheuert finden. Oder es einfach mal nicht nach logischen Maßstäben hinterfragen.

Und wenn sich am dramatischen Höhepunkt des Films zu Orchestergewummer die Kranfahrer New Yorks solidarisieren und einen luftigen Kletterparcours für den verbeulten Spider-Man errichten, ist das ohne Frage arg kitschig. Es fühlt sich aber stets so an, als hätten die Macher das genau gewusst und die Pathos-Schraube augenzwinkernd noch ein Stückchen weitergedreht – weil kurz darauf wieder was tatsächlich Lustiges passiert und man Andrew Garfield ohnehin nicht lange böse sein kann.

Eine tatsächliche Neuerung gegenüber dem Leinwand-Trio aus dem letzten Jahrzehnt ist der 3D-Effekt. Der Dramaturgie des Films folgend, wird der derzeit so beliebte Optikaufpepper anfangs nur spärlich eingesetzt und gewinnt erst nach Peters Transformation an Bedeutung. Dann ergänzt er Spider-Mans Flüge durch Häuserschluchten passend, ohne sich zu plakativ in den Vordergrund zu drängen. Was ansonsten an (CGI-)Effekten geboten wird, ist hervorragend – wir haben bei einem derartigen Blockbuster in spe aber auch nichts anderes erwartet.

Zusätzlichen Unterhaltungswert kann man übrigens noch aus dem Kinobesuch ziehen, indem man die Produktplatzierungen zählt: In der Welt von “The Amazing Spider-Man” scheint Sony ein Monopol auf nahezu sämtliche Unterhaltungselektronik zu haben: Dr. Connors filmt sich mit einem Sony-Camcorder, Spider-Man zockt und telefoniert mit einem Xperia Play, gearbeitet wird an Vaio-Rechnern. Nun, es macht den Film ja nicht schlechter.

Eine kleine Randnotiz am Ende: In Gwens Zimmer liegt eine Ausgabe des Buches “Seabiscuit”, in dessen Verfilmung ein gewisser Tobey Maguire 2003 die Hauptrolle spielte. Wie Maguire es eigentlich findet, dass aus dem lange Zeit geplanten “Spider-Man 4” nichts wurde und er das rot-blaue Kostüm früher als gedacht ablegen musste, ist uns nicht bekannt. Für die Kinogänger ist das Ganze ein Gewinn, denn mit Andrew Garfield steckt nun ein sympathischerer Schauspieler im Spinnenkostüm. Sein Debüt geht zu weiten Teilen zwar auf Nummer sicher, bietet aber 136 kurzweilige Minuten. Und falls es Herrn Maguire tröstet: Mit Andrew Garfield rechnen wir noch mal 2014 und dann dreht sich das Personalkarussell vielleicht schon weiter. Bis 2017 schließlich “Spider-Man 2099” mit Zac Efron startet.

Und nun noch der Trailer, bevor wir uns auf der nächsten Seite dem Spiel zum Film widmen.


Ihr seid noch da? Schön! Ist nicht selbstverständlich, weil jetzt erzählen wir euch noch was über eins dieser berüchtigten Lizenzspiele. Sind ja eigentlich nie so toll. Und schon vom letzten “Spider-Man”-Spiel, “Edge of Time”, waren wir bei unserem Beitrag in Folge 186 eher enttäuscht. Was soll da nun schon groß anders sein? War mit Beenox schließlich derselbe Entwickler dran. Wenn ein Spiel dann noch pünktlich zum Kinostart fertig sein muss, wird’s oft besonders unschön.

Aber “The Amazing Spider-Man” ist ein gutes Spiel. Ziemlich gut sogar. Meckerten wir vor einigen Monaten bei “Edge of Time” noch darüber, dass Spider-Man zu oft in enge Areale gesperrt wurde, eröffnet sich euch hier ein großzügiges digitales New York. Dass ihr euch scheinbar ohne “Anknüpfpunkte” frei durch die Luft schwingen könnt, mag unlogisch sein, bringt aber eben auch viel Spaß.

Beenox hat sich offensichtlich von den mitreißenden Ego-Sequenzen des Films inspirieren lassen und erfolgreich versucht, beim Herumschwingen ähnlich intensive Gefühle von Schwindel und freiem Fall zu erzeugen. Auf optisch beeindruckende Ergebnisse zielt auch die neue Netzsprint-Mechanik ab: Sie erlaubt es euch, leuchtende Zielpunkte anzuvisieren, zu denen sich Spider-Man dann auf dem dynamischsten Weg begibt. Am Anfang bremst das den Spielfluß scheinbar aus, schon bald lässt es sich aber für allerlei – pardon – filmreife Aktionen nutzen.

Zu unserer Überraschung emanzipiert sich das Spiel auch von den Story-Vorgaben des Films und knüpft an dessen Ende an. Das hat den schönen Nebeneffekt, dass auch andere Gegenspieler eingebaut werden konnten. Echte Charaktere mit wirklichen Hintergrundgeschichten und nachvollziehbaren Motivationen sind die Mischwesen aus Mensch und Tier aber nicht. Wir hätten kaum gedacht, wie blass ein Aggro-Nashorn auf zwei Beinen bleiben kann. Da hat ein “Batman: Arkham City” (Beitrag in Folge 185) dann doch die interessanteren Widersacher zu bieten.

Hier war mal ein Bild

Andernorts zeigen sich dann aber wieder viele Parallelen zum Fledermaus-Spiel: Das komplette (Nah-)Kampfsystem ist nahezu identisch zu Warners Megahit. Es ist also simpel, hat aber einen ziemlich lässigen Flow. Die Hinweise auf den richtigen Zeitpunkt für Konter hätten aber noch ein wenig deutlicher ausfallen können. Erinnerungen an die Riddler-Rätsel aus “Batman” kommen bei den auf Peter Parkers Job anspielenden Fotografen-Missiönchen auf. Und spätestens während der Stealth-Einsätze, in denen der wenig schussfeste Spidey nach und nach bewaffnete Handlanger ausschalten muss, wird “The Amazing Spider-Man” dann zum beinahe schon dreisten Plagiat – so offensichtlich ist das Vorbild.

Gut geklaut ist aber immer noch besser als schlecht erfunden. Und Beenox hat es durchaus geschafft, dem Ganzen noch einen eigenen Anstrich zu geben: Die Passagen in geschlossenen Gebieten sind zwar (wieder) nicht der Knaller, dafür gibt’s in der offenen Spielwelt einige Bosskämpfe gegen fette Riesenroboter. So fühlt sich “The Amazing Spider-Man” insgesamt wie eine Mischung aus besagtem “Batman” und dem launigen Großstadt-Chaos eines “Prototype 2” (Beitrag in Folge 207) an.

Hier war mal ein Bild

Der Vorgänger „Edge of Time“ aus dem letzten Herbst wirkt nun (noch mehr) wie ein aus Resten zusammengeschusterter Ableger, der mit möglichst wenig Entwicklungsaufwand die Lücke bis zum Release eines wirklich ambitionierten und unterhaltsamen „Spider-Man“-Spiels schließen sollte. So eins gibt es jetzt.

“The Amazing Spider-Man” ist seit Ende Juni für PS3, Xbox 360, Wii, 3DS und DS erhältlich. Unsere Eindrücke beziehen sich auf die Versionen für PS3 und Xbox 360. Eine PC-Umsetzung folgt im August.