Manchmal reicht eine einzige gute Idee, um Geschichte zu schreiben. Nun ja, zumindest Filmgeschichte. So wie die von Regisseur Oren Peli, der 2006 einen kleinen, unscheinbaren Horrorfilm drehte, für die lächerliche Summe von rund 15.000 Dollar. Dieser Horrorfilm war “Paranormal Activity”.

Heute gilt das Schauerstückchen, das uns in wackeligem Heimvideo-Stil den verzweifelten Kampf eines jungen Paares gegen einen rasenden Poltergeist zeigte, als profitabelster Film aller Zeiten – und Oren Peli als neues Horror-Wunderkind. Wenn sein Name also über “Chernobyl Diaries” prangt, lässt das Genre-Freunde aufhorchen. Liefert der gebürtige Isreali den nächsten Meilenstein des gefilmten Terrors ab?

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Um die Antwort gleich vorwegzunehmen und jede Form der Text-Dramaturgie schon eingangs keck zu zerschlagen: Nein, nicht annähernd. “Chernobyl Diaries” ist ein gefälliger Gruselfilm mit einem leidlich originellem Aufhänger, der weder frische Ideen anbietet noch eine eigene Identität entwickeln kann. Ganz Genrefilm, funktioniert “Chernobyl Diaries” nach sehr klar definierten Regeln, die bis zur letzten Einstellung brav eingehalten und niemals in Frage gestellt werden; man muss schon seit Jahren keinen Horrorfilm mehr gesehen haben, um von irgendeiner Szene ernsthaft überrascht zu werden. Wer eine Eintrittskarte löst, bekommt genau das, wofür er bezahlt hat – nicht mehr, aber immerhin auch nicht weniger. Ist “der neue Film von Oren Peli” (was übrigens eine Augenwischerei ist; zwar hat Peli die Story entworfen und fungiert hier als Produzent, an Regie, Kameraführung oder Schnitt war er aber nicht mehr beteiligt) nun also ein handfester Flop? Die Antwort darauf hängt von eurer eigenen Erwartungshaltung ab. Ich sage: Nein. Und spreche bei aller berechtigten Kritik an “Chernobyl Diaries” hiermit sogar eine vorsichtige Empfehlung aus.

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In manchen Filmen ist das Setting heimlicher Star des Films – wie etwa in “Alien”, in dem die düstere, verwinkelte Nostromo fast schon ein eigener Charakter war, der ein sinistres Eigenleben entwickelte. “Chernobyl” ist auch so ein Fall. Einen besonderen, morbiden Nervenkitzel wollen die amerikanischen Teenies erleben, als sie beim vierschrötigen Ukrainer Uri einen Trip durch Pripyat buchen. Pripyat, das ist die verlassene Geisterstadt, die in einer überhasteten Evakuierung im Jahr 1986 geräumt wurde, nachdem im nahegelegenen Atomkraftwerk Tschernobyl Reaktor 4 in die Luft flog. Seitdem stehen Hunderte von Wohn- und Bürogebäuden leer, das Gelände ist von Unkraut überwuchert – schauriges Wahrzeichen ist das berühmte Riesenrad, das wie ein stummer, toter Riese über das Land blickt (51.408603N, 30.055547E). Kennt ihr nicht? Aber klar: In Spielen wie “S.T.A.L.K.E.R.” oder “Call of Duty 4: Modern Warfare” erkundet ihr die unheimlichen Ruinen auf eigene Faust.

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Einen Horrorfilm vor dieser Kulisse spielen zu lassen, ist eine ebenso naheliegende wie fast schon geniale Idee. Gruseliger als das Gefühl, alleine zu sein, ist schließlich nur die Gewissheit, es NICHT zu sein. Das muss auch unsere amerikanische Reisegruppe erfahren, deren vermeintlich sicherer Touri-Trip durch den stadtgroßen Friedhof schnell in Nervosität mündet: Hat sich da Fenster nicht was bewegt? Kam nicht grade aus jenem Eingang dort ein leises Rumpeln? Überflüssig zu erwähnen, dass dies nur der Aufhänger ist zu einem dramatischen Überlebenskampf gegen eine gesichtslose Bedrohung, den nicht alle Beteiligten überstehen werden.

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Gerade in der ersten Hälfte gelingt es Scriptschreiber Peli und Regisseur Brad Parker durchaus, für Atmosphäre zu sorgen. Eine fremde Sprache und das schlechte Gewissen, sich ganz bewusst an einem Ort aufzuhalten, an dem man nicht sein sollte, erzeugen eine beklemmende Atmosphäre der Isolation und der allgegenwärtigen Unsicherheit. Leider tritt der Spannungsaufbau mit dem Einsetzen des eigentlichen Plots gegenüber sattsam bekannten Horrorkonventionen zurück – es wird viel gerannt, noch mehr geschrien und wenn es mal verdächtig ruhig wird, kann man seinen Geigerzähler darauf verwetten, dass ein klassischer Jump Scare ansteht. Buh!

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Auch “Chernobyl Diaries” wird über große Strecken von Klischees regiert, ohne die das Genre wohl nicht funktionieren würde. Aber immerhin vermeiden die Macher die allergröbsten Schnitzer: Keine aufgesetzten Liebes-Subplots, keine ach-so-smarten popkulturellen Anspielungen stören die hoffnungslose Stimmung – und von Linkin Park ist auch nichts zu hören. So sind einem die unglücklichen Charaktere zwar herzlich egal, dafür gehen sie einem aber auch nicht schon nach zwei Einstellungen hart auf den Keks. Man darf ihr Verhalten nur nicht allzusehr hinterfragen (die Aussicht auf einen brutalen Tod und/oder atomare Verstrahlung ist wirklich eher zu ertragen als die Vorstellung, ein paar Kilometer zu Fuß gehen zu müssen?). Und dass gerade der farblose Langweiler die scharfe Blondine als Freundin abbekommt, passiert in der Form wohl auch nur im Kino. Filme sind eben Realitätsflucht.

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Das klingt ja alles nicht so toll. Ich rate euch trotzdem, den Film nicht komplett abzuschreiben. Denn bei aller Mäkelei über Details kann “Chernobyl Diaries” über seine angenehm knackige Laufzeit von nicht mal anderthalb Stunden doch unterhalten und gelegentlich gar fesseln. Dieser Film hat keine hochgesteckten Ambitionen, er will nichts neu machen, anders oder besser – sondern nur ein paar Schauer über unsere Rücken jagen. Bei dieser geringen Fallhöhe gelingt es natürlich nicht, eigene Akzente zu setzen oder nachhaltig zu beeindrucken. “Chernobyl Diaries” wird nicht mehr als eine Fußnote in der Filmgeschichte sein, an die sich in ein paar Jahren kein Mensch mehr erinnern wird.

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Und doch habe ich in der letzten Zeit jede Menge schlechterer Horrorfilme gesehen, bei denen es mich um die verschleuderte Lebenszeit geärgert hat. Aus “Chernobyl” kam ich raus und war weder begeistert noch enttäuscht. Schraubt eure Erwartungshaltung runter und vielleicht werdet ihr ganz, ganz leicht positiv überrascht. Manchmal schmeckt ein ganz einfaches Gericht besser als der überkandidelte Fünf-Sterne-Edelmampf – wenn die Zutaten stimmen.

“Chernobyl Diaries” läuft ab dem 21. Juni in den deutschen Kinos und ist ab 16 Jahren freigegeben. Was meint ihr? Gebt ihr dem Streifen eine Chance oder winkt ihr dankend ab?

P.S.: Und noch ein letztes Wort: Wenn ihr irgendwie könnt, schaut um Gottes Willen die Originalfassung. Gerade bei einem Horrorfilm, bei dem es auf jedes Zittern in der Stimme ankommt, ist eine hölzerne Synchronisation eine Sünde an der Sache. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie ein Deutscher klingt, der einen Ukrainer spricht, der versucht, Englisch zu sprechen. DAS ist wahrer Horror.