Lieber Simon,

wir hatten einen Deal. Ich habe ihn gebrochen. Ich schäme mich. Wir wollten Mass Effect 3 zusammen zocken, nur du und ich und der hässliche Teufelskerl Günther Shepard. Dann kam Ostern. Ein Erklärungsversuch:

Wir spielen ja jeden Scheiß. Das ist unser Job. Es gibt bestimmt viele Leute, die beneiden uns darum. Wir zocken Videospiele und nennen das Arbeit. Ich wiederum beneide Pornodarsteller. Auch sie haben ihr Hobby zum Beruf gemacht. Ein Pornodarsteller steigt mit Millionen Frauen ins Bett. Er kommt morgens ins Büro und fragt sich: „Mit wem lande ich heute in der Kiste?“. Wir kommen morgens ins Büro und fragen: „Welchen Titel spiele ich heute?“. Egal, wie gut oder schlecht ein Spiel oder eine Gespielin ist, vor der Kamera sollte es immer aussehen, als hätte man Spaß. Man sitzt in schlecht ausgeleuchteten Sets, befolgt Regieanweisungen, wird durch technische Probleme unterbrochen. Das Ergebnis hat mit wahrer Liebe meistens nichts zu tun. Wahre Liebe ist, wenn der Pornodarsteller abends zu seiner Frau nach Hause kommt. Der einen Frau, die er sich ausgesucht hat.

Meine Frau heißt Miranda. Und Tali. Und Liara. Und Jack. Ich liebe “Mass Effect” und ein Spiel, das man liebt und respektiert, zerrt man nicht vor die Kamera. Man zerhackt es nicht in Stunden-große Blöcke. Man teilt seine Aufmerksamkeit nicht auf, so wie wir es tun, wenn wir ein Auge immer auf der Uhr oder auf der labilen Capture-Software haben. Man konzentriert sich nicht auf etwas anderes, so wie wir, wenn wir uns gegenseitig zuhören und versuchen dem Gedanken des anderen zu folgen und ihn weiter zu tragen und dabei die Handlung vernachlässigen. Nein, mein Freund, ein Spiel, das man liebt, behandelt man wie eine Königin. Man besorgt etwas leckeres zu essen, verdunkelt den Raum, sieht und hört nichts anderes als dieses eine Spiel und vergisst die Zeit um einen herum.

Als ich Ostern “Mass Effect 3” in die Konsole gelegt habe, war mein Vorhaben nur die Missionen nachzuspielen, die der Günther schon in seiner unnachahmlichen Manier erledigt hatte. Doch Vorhaben ist vor Haben und ich habe. Ich habe mich einsaugen lassen. Von meinem John Sheppard, mit dem ich in Teil 1 Kaidan zum Sterben zurück gelassen habe und mit dem ich in Teil 2 ein Reaper-Shiff zerstörte, ohne auch nur ein Crewmitglied zu verlieren.

Als ich mit diesem John Sheppard in der Akademie war, in der wir fast so häufig verreckt sind, wie auf dem Schiffsfriedhofsarschloch in Uncharted 3, da lief mir auf einmal Jack in die Arme. Ich hatte fast mal was mit ihr doch dann kam Miranda und Jack war sauer auf mich und hat kein Wort mehr mit mir geredet. “Frauen”. Das hat mich seinerzeit sehr mitgenommen. Jetzt stand sie wieder vor mir und sie hatte mir verziehen. Dann bin ich in die Citadelle geflogen und wo Günther durch die Räume läuft ohne gegrüßt zu werden, da traf ich andere alte Bekannte wieder, mit denen ich schon so manche Schlacht geschlagen hatte. Ich musste einfach weiter machen, es war nicht geplant, es hat mich übermannt. Wenn ich gegen die Reaper in den Krieg ziehe um die Erde zu retten, dann brauche ich meine Crew an meiner Seite.

Und dann habe ich “Mass Effect 3” so gespielt, wie es gespielt werden muss. Ich habe Essen eingekauft und die Fenster verdunkelt. Habe meine Mutter angelogen, weshalb ich Ostern nicht kommen kann und dann das Telefon auf lautlos gestellt und in die Ecke gelegt. Ich hab gespielt bis ich zu müde wurde. Bin ins Bett gegangen und hab von der Normandy geträumt. Ich bin aufgestanden und habe die Konsole eingeschaltet und weiter gemacht. Ich habe jeden Winkel meines Schiffes besucht und mir die Geschichten jedes Crewmitglieds angehört. Wenn ich zwischendurch meine Finger zum Essen brauchte, habe ich mir aus dem Lexikon vorlesen lassen. Für zwei Tage und Nächte war ich wieder John Sheppard.

Als ich spürte, dass es zu Ende geht, bin ich noch einmal durch die Normandy gelaufen. Ich habe Abschied genommen. Ich wusste nicht, was passiert, aber ich hatte eine Ahnung. Ich habe jeden Raum besucht und versucht mich zu erinnern, was hier alles passiert war. Es spielte keine Rolle, wie das Ende aussehen würde, über das alle diskutieren. “Mass Effect” war immer als Trilogie ausgelegt und es würde so oder so vorbei sein. Ich zog in die letzte große Schlacht. Und meine Crew mit mir. Ich habe jeden Moment genossen.

Als alles vorbei war, saß ich einfach nur da. In so einem Moment kann man nicht aufstehen und etwas anderes machen. Man muss das verarbeiten. Sacken lassen.

Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, dir gegenüber, Simon, und dem Günther. Aber ich hatte das beste Zockerostern aller Zeiten. Ich habe dieses Meisterwerk “Mass Effect” so gespielt, wie es gespielt werden muss. Und ich liebe es.

Wenn du mir das verzeihen kannst, dann bin weiter dabei, mit dir und Günther. Es ist dann nicht mehr mein erstes Mal, aber das ist wie in der Pornobranche, Erfahrung macht einen besser. Und wenn ich an die zahlreichen Dümmlichkeiten denke, die uns schon passiert sind, dann ist es vielleicht sogar besser so, wenn zumindest einer Ahnung hat.

HDGDL,
Nils