Der Popcorn-Blockbuster gehört zur Sommerzeit wie Eistee, Grill-Orgien im Stadtpark und die Gamescom. Bevor Oberproll Michael Bay im nächsten “Transformers”-Teil wieder alles in die Luft sprengt und mit seinen hirnerschütternd blöden Zerstörungsorgien vermutlich ein paar Zillionen Dollar einnimmt, sticht ab morgen zunächst unsere Lieblings-Piratentunte Jack Sparrow ein weiteres mal in See. “Pirates of the Caribbean: Fremde Gezeiten” ist der vierte Teil der unverschämt erfolgreichen “Fluch der Karibik”-Reihe und soll die recht schwachen Teile 2 und 3 vergessen machen. Ob’s klappt…?

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Die Frage kann ich mit einem eindeutigen Jein beantworten. Ich gebe zu: Ich war nie der ganz große “Fluch der Karibik”-Fan. Teil 1 hat mich noch mit jeder Menge Schwung, Witz und Originalität überrascht, aber schon das Sequel und das Sequel-Sequel verkamen zu hektischen, überfrachteten Special-Effects-Orgien, bei denen die Story immer nebensächlicher wurde. Hat es wirklich jemanden interessiert, wer gerade wem weshalb hinterherjagte – so lange nur Johnny Depp als Jack Sparrow seine unnachahmliche One-Man-Show abzog? Ich könnte um’s Verrecken nicht mehr zusammenfassen, worum es in den letzten beiden “Karibik”-Filmen eigentlich ging. Man mag es meinem mangelnden Intellekt zuschreiben oder meinem Aufmerksamkeits-Defizit, aber irgendwo zwischen Balance-Akten auf einem riesigen Holzrad, überdimensionalen Wassergöttinnen und Keith Richards bin ich mental ausgestiegen. Manchmal ist “Mehr” eben schon “Zuviel”.

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Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, in der der Terminus “Sommer-Blockbuster” noch keine Entschuldigung war für Formelhaftigkeit, Oberflächlichkeit und den völligen Verzicht auf eine mitreißende, intelligente Geschichte – so lange es nur regelmäßig rummst auf der Leinwand. Auch bahnbrechende, genredefinierende Kino-Meilensteine wie “Der Weiße Hai”, “Alien” oder “Terminator 2” wurden als kurzweiliges Event-Kino gehandelt… Aber gut, das liegt lange zurück. Heute ist der Special Effect alles, die Geldmaschine muss weiter drucken und die Massen sollen ins Kino strömen. So hat es mich nicht mal sonderlich gewundert, dass die liebe Pressebeauftragte vor der Deutschland-Premiere von “Karibik 4” stolz prahlte, dass die Serie bislang etwa 2,7 Milliarden Dollar eingespielt habe. Kein Wort zum Inhalt. Kein Wort zum Dreh, den Schauspielern, der Story. Nur das Einspielergebnis zählt. Man muss kein verbitterter Zyniker sein, um zu erkennen, dass es bei Streifen dieser Größenordnung nur darum geht, möglichst viel Kohle zu scheffeln, um möglichst viele Fortsetzungen produzieren zu können. It’s a business, people – idealistische Träumer sollten sich ein anderes Betätigungsfeld suchen. Oder bei James Cameron anfragen.

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Jetzt also Teil 4 der klamaukigen Karibik-Sause: Jack Sparrow, wie immer mit einem Bein im Kittchen (oder im Grab), landet nach jeder Menge Verwicklungen und Verstrickungen an Bord der legendären Queen Anne’s Revenge, dem gefürchteten Schiff des ebenso gefürchteten Piraten Blackbeard (Ian McShane). So wird er unfreiwilliger Teilnehmer im Rennen um die legendäre Quelle der Jugend, nach der auch die spanischen und britischen Flotten suchen. Unter britischer Flagge segelt jetzt auch Sparrows Nemesis Hector Barbossa (Geoffrey Rush, der wieder sofort durchschaut hat, was für ein alberner Kindergeburtstag das hier ist und so hemmungslos overactet, dass es eine wahre Freude ist). Auch noch dabei: Zombies, Meerjungfrauen, ein enervierend blasser Priesterbengel und Penelope Cruz als weibliches Gegenstück zu Jack Sparrow. Mit der Besetzung der rassigen Schönheit als undurchsichtige Freibeuterin Angelica ist den Machern immerhin ein echter Besetzungscoup gelungen – Cruz als schlitzohrige, schlagfertige und todesmutige Piratenbraut bildet das dringend benötigte Gegengewicht zur überlebensgroßen Figur des Jack Sparrow. So sind dann auch die Szenen zwischen den beiden, in denen sie sich entweder angiften oder direkt aufeinander losgehen, die spaßigsten in den gesamten 141 (!) Filmminuten.

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Kommen wir also zu Jack Sparrow, dem unangefochtenen Superstar der “Fluch der Karibik”-Reihe – und ironischerweise auf deren größter Schwachpunkt. Denn spätestens mit Teil 4 macht er sich endgültig bemerkbar: Der Übersättigungseffekt. Klar, der halbschwuchtelige, halbbetrunkene, halbfähige Selfmade-Freibeuter mit dem Herz aus Gold hat uns sofort für sich eingenommen und zurecht einen festen Platz in der Pop- und Filmkultur. Und es kann Johnny Depp gar nicht hoch genug angerechnet werden, mit welcher Selbstironie und Chuzpe er diesem Charakter seinen ganz eigenen Stempel aufgedrückt hat. Jack Sparrow als völlig überzeichnete Witzfigur anzulegen, war ein teuflisches Risiko – aber es hat sich bezahlt gemacht, wie die Einspielergebnisse eindrucksvoll belegen. Konsequenterweise ist also er mit jedem Teil weiter in den Mittelpunkt gerückt und hat damit das Überleben der Serie gesichert. Machen wir uns nix vor: Ohne Jack Sparrow hätte es sehr wahrscheinlich nur einen Teil von “Fluch der Karibik” gegeben. Niemand ist wegen der Liebesgeschichte zwischen Orlando Bloom und Keira Knightley ins Kino gerannt.

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Aber mittlerweile ist die linkische Trottelhaftigkeit des Sparrow-Jack kaum mehr als eine Masche, die Abnutzungserscheinungen zeigt. Seine Ticks, sein Gepose, sein ständiges Schwanken zwischen Abenteuerlust, Selbstüberschätzung und bekiffter Teilnahmslosigkeit ist berechenbar geworden. Wähnt er sich siegessicher, kann man davon ausgehen, dass er schon bald eine Klinge an der Kehle hat. Kommt in einer Szene der Hauch von – huch!- ernsthafter Romantik auf, bringt er natürlich einen absolut unpassenden blöden Spruch und stolziert gockelhaft davon. Und keine Todesgefahr wäre so gravierend, dass nicht noch Zeit für eine bis ins Detail choreographierte Slapstik-Einlage wäre. Es passiert so viel vermeintlich Überraschendes, dass es keinerlei Überraschungen mehr gibt.

Apropos Todesgefahr: Eigentlich muss ich mich korrigieren, denn wirklich gefährlich wird es zu keiner Sekunde für unsere Heldentruppe. Ich sag jetzt, wie’s ist: “Pirates of the Caribbean: Fremde Gezeiten” ist ein Kinderfilm. Und zwar nicht nur, weil er ab 12 Jahren freigegeben ist. Sondern weil von der ersten Sekunde bis zum Abspann völlig klar ist, dass weder Jack Sparrow noch seinem Ensemble ein Haar gekrümmt werden wird – egal, wie viele Halsabschneider, untote Piratenzombies oder Marinesoldaten hinter seinem Kopf her sind. Wer sollte denn die ganzen Zuschauer im unvermeindlichen fünften Teil ins Kino locken, wenn Jackie-Boy am Ende in seinem eigenen Blut liegt, aufgespießt von einer Harpune, röchelnd an den Schiffsrumpf genagelt? Die Macher sind ja nicht bescheuert! Also ist jede Actionszene bei allen Schauwerten im Grunde nur eines: Ziemlich belanglos, weil meistens ohne ernsthafte Konsequenz. Wie fast alle Actionszenen heutzutage.

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Solltet ihr nun etwa 13 Euronen für “Pirates of the Caribbean: Fremde Gezeiten” opfern? Schwer zu sagen. Ich kann den Streifen nicht ernsthaft empfehlen, dafür war er zu berechnend und berechenbar, zu schal, zu rundgelutscht, zu sehr auf Kassenerfolg getrimmt. Auf der anderen Seite waren das die Vorgänger auch, und im Gegensatz zu denen nimmt sich Teil Vier sogar eher zurück (von der inflationären Nummernrevue des Jack Sparrow mal abgesehen). Und wirklich langweilig ist er ja auch nicht, er lässt einen eben nur völlig kalt. Letztendlich müsst ihr also entscheiden, ob ihr für zweieinhalb gute Einzelszenen von Johnny Depp über zwei Stunden im Kino sitzen wollt. Piratenfans werden ohnehin die Lichtspielhäuser entern und sich nicht vom Kinobesuch abhalten lassen. Meinetwegen. Es gibt weißgott schlimmere Filme. Ich für meinen Teil kann nur mit den Schultern zucken: Ich versteh’ die Aufregung nicht.

“Pirates of the Carribean: Fremde Gezeiten” startet am 19. Mai in den deutschen Kinos.

Was meint ihr? Freut ihr euch auf den vierten Teil oder habt ihr genug vom Pirat-Spielen?