“Tron” also. In Hollywood ist wohl nichts mehr heilig. Alles wird ge-rebooted, ge-remaked oder ge-re-3D-ed. Okay, das letzte war kein echtes Wort, aber ihr wisst was ich meine. Auf “Tron: Legacy” treffen sogar alle drei Hollywood-Sünden zusammen. Ich muss gestehen, bei all dem Hype und der Glorifizierung des Klassikers von 1982: Ich war nie ein großer Tron-Fan. Ich hab das Original immer als sehr schwerfällig und langatmig empfunden. Der Look war anders, ja, aber das hat mich als 6-Jähriger nicht wirklich gejuckt. Die Story war irgendwie kompliziert und so richtig verstanden habe ich sie nie. Und warum der Typ aus “Agentin mit Herz” jetzt Frisbee spielt hat sich mir auch nie erschlossen.

Über die Jahre hat sich der Stellenwert von “Tron” dann etwas gewandelt. Ich habe mehr und mehr verstanden warum dieser Film etwas besonderes zur seiner Zeit war und ich zolle ihm dafür Respekt. Wirklich viel Spaß macht er mir aber trotzdem nicht. Als 2008 auf der Comic-Con in San Diego plötzlich wie aus dem Nichts ein mysteriöser “Tron”-Teaser gezeigt wurde, war dennoch ziemlich neugierig. In einer rasenden Geschwindigkeit verbreitete sich durch die Macht des Internets ein Hype, der eigentlich gar nicht zu begründen war. Aber wie es sich für einen Nerd gehört, hab ich mich von dem Hype anstecken lassen und dann irgendwann dem Release von “Tron: Legacy” entgegen gefiebert, ohne wirklich sagen zu können warum.

Wahrscheinlich weil das Thema an sich, die Idee, jemanden in eine virtuelle Welt, in ein Computerspiel, zu ziehen und dort Abenteuer erleben zu lassen, irgendwie zeitgemäß ist. Es passt einfach und wenn man dieses Konzept mit dem heutigen Hollywood-Know-How verbindet, dann könnte da schon eine Blockbuster-Perle entstehen, die an die prominenten Haustüren von Matrix und Co. klopft.

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Das Potenzial für ein geiles SciFi-Universum bietet “Tron” allemal. Und mit einem Budget von knapp 170 Mio. Dollar kann man aus einer guten Idee durchaus auch einen ansehnlichen Film machen. Sollte man meinen. So begab es sich nun, dass ich vor einigen Wochen der Pressevorführung beiwohnen durfte. Das Kino war voll, was keine Selbstverständlichkeit bei Pressevorführungen ist, wo sich gerne auch mal nur zwei, drei andere Kollegen einfinden. Da saß ich nun, mit 3D-Brille, Nachos und Cola. Verzauber mich Hollywood. Gib alles. Ihr hattet 28 Jahre Zeit für ein bahnbrechendes Sequel. Hier bin ich. Kenner des Originals, Film-Nerd, Gamer. Zielgruppe!

Knapp zwei Stunden später, kratze ich mich meinem Finger eingetrocknete Käse-Sauce aus meinem Pulli. Die Blase drückt von den 1,5 Litern Cola, die ich in 120 Minuten absorbiert habe. Draußen vor der Tür warten Menschen vom Verleih und sammeln Meinungen von den Gästen. Ich will nicht. Ich kann doch nicht auf Kosten der netten Verleiher essen, trinken einen Film schauen und ihnen dann in ihre erwartungsvollen Gesichter sagen, dass der Film eine ganz große Enttäuschung war.

Ich versuche mich an den Menschen mit den Schreibblöcken vorbei zu schleichen und laufe zielstrebig auf die Herren-Toilette zu. Da erfasst mich von hinten eine Stimme, die mich zusammenzucken lässt: “Und wie hat IHNEN der Film gefallen?” Verdammt. Erwischt. Ich drehe mich um lächele und sage wie aus der Pistole geschossen: “Also die Effekte waren überragend. Optisch ist der Film wirklich ne Wucht”. Der Mann vom Verleih freut sich und wendet sich ab. Ich hadere mit mir selbst. Soll ich noch mal zurückgehen und ihm sagen, dass alles andere an dem Film aber Grütze ist?

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Dass der Film kein Herz, keine Seele hat? Dass er eine Aneinanderreihung von sinnlosen Action-Sequenzen ist und mich das pseudo-spirituelle Gequatsche nur genervt hat? Das der Film eine konfuse Story hat und ich eigentlich immer noch nicht sagen kann, worum es da eigentlich ging? Das der CGI-Jeff Bridges wie ein Geist wirkte mit leerem Blick. Das Jeff Bridges ein toller Schauspieler ist, aber “Big Lebowski”-Anspielungen einen eher aus dem Universum reißen und da nicht reinpassen? Das Michael Sheens Charakter ein dreister Klau vom Merowinger aus Matrix ist? Dass überhaupt fast jede zweite Szene aus einem anderen Film geklaut ist? Dass die Dialoge teilweise so abgedroschen und platt waren, dass es mir körperliche Schmerzen bereitet hat? Dass der Film Plotholes hat und ich den Hauptdarsteller nicht mag? Dass das gesamte erste Drittel total lächerlich war und überhaupt, dass es niemand mehr cool findet, wenn Projektile in Zeitlupe an einem vorbeifliegen? Dass ich es ebenfalls nicht mehr sehen kann, wenn jemand über irgendwas springt und dann in der Hocke landet und langsam grimmig nach oben guckt, wie Agent Smith in Matrix? Dass die Wandlung von Tron zu schnell und unglaubwürdig war? Dass nicht erklärt wird, wie der Clu überhaupt seine digitale Armee in die echte Welt beamen will. Und wie er die echte Welt an sich reißen will und was er macht wenn seine tollen Frisbees an einem M1-Abrams Panzer einfach zerschellen?
Ich schweife ab…

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Wie heißt es so schön: “Wenn man nichts positives sagen kann, soll man lieber gar nichts sagen”. Ich bin auf die Toilette gegangen und habe dann mit anderen Journalisten vor dem Kino über den Film gequatscht. Es waren nur wenige dabei, die wirklich begeistert waren. Alle waren sich einig, dass der Film durchaus berauschend für Augen und Ohren ist. Visuell gibt es wirklich gar nichts zu meckern. Die Effekte sind schlicht sensationell, die Light-Cycle und Disc-Actionszenen sind alles andere als schlecht. Aber irgendwie fehlt da die Bindung zum Rest.

Olivia Wilde ist eine Augenweide und überhaupt ist die gesamte Tron-Welt optisch zeitgemäß und beeindruckend. Umso enttäuschender ist deshalb auch, dass das Drehbuch so ein unfassbarer Murks ist und Regisseur Josehph Kosinski, der mit “Tron Legacy” sein Regie-Debüt feiert, noch einiges lernen muss. Die Chance es besser zu machen hat er.
Der nächste Tron-Film wurde bereits angekündigt. Noch so eine Hollywood-Sünde…

Nun also auch “Tron”. Die letzten Monate und Jahre haben uns so viele Sequels, Remakes und Neuauflagen lieb gewonnener Klassiker aus den 80ern gebracht, dass man mittlerweile ernsthaft misstrauisch sein muss. Scheinbar sind den Hollywood-Produzenten zwischen all den Koks-Parties nun endgültig die Ideen ausgegangen. Also plündern die vermeintlich “Kreativen” einfach die Mottenkiste der Popkultur, holen halbverweste Kulthits von vorgestern zurück ins Leben und vertrauen drauf, dass große Namen und Heerscharen von mittlerweile erwachsenen Fans die Kassen zum Klingeln bringen. Scheiß auf’s Herzblut, wenn nur die Kohle stimmt. Das “A-Team” war grauenvoll. Das Remake von “Nightmare on Elm Street” hochgradig überflüssig und daher sehr zu Recht kaum beachtet. Selbst Oliver Stone scheint von Gordon Gekko so gelangweilt zu sein, dass er seinen ehemaligen Kult-Bösewicht in “Wall Street: Geld schläft nicht” zum handzahmen Gutmenschen degradiert. Was uns der filmische Stinkfinger namens “Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels” angetan hat, haben die meisten von uns immer noch nicht verdaut. Und von “Transformers 2” wollen wir gar nicht erst anfangen. Der wird in ein paar Jahren als einer der schlechtesten Filme in der Geschichte des Mediums an Filmhochschulen analysiert werden, ich sag’s euch. Früher war nicht alles besser, aber manches eben doch. Nun also auch “Tron”.

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Eigentlich hat Kollege Eddy schon alles zu diesem Film gesagt, was es zu sagen gibt. “Tron: Legacy” ist das geworden, was Roger Ebert dem ersten Teil 1982 vorgeworfen hat: Eine glänzende, funkelnde Maschine, in der Technik alles ist und Gefühl nichts. Man muss kein fanatischer Fan des Originals sein, um anzuerkennen, dass der Ur-“Tron” den Geist seiner Zeit perfekt eingefangen und mit bahnbrechenden audiovisuellen Mitteln erlebbar gemacht hat. Disc-Duelle. Die Lightcycles. Neonbunte Computerprogramme in einer grauen, entmenschlichten, kalten Welt. Auch wenn “Tron” in der Rückschau nicht ganz so brillant war, wie wir ältere Semester es uns immer wieder unbewusst einreden, aber kalt gelassen hat dieses frühe Techno-Spektakel niemand. “Tron: Legacy” kommt dagegen gerade so auf Betriebstemperatur.

Dabei hat die Story durchaus Potenzial für eine geschickte Fortführung einer grundinteressanten Geschichte: Der Sohn des verschwundenen Spieleentwicklers Kevin Flynn (Jeff Bridges) findet seinen Vater in den Untiefen der – und das ist nun wirklich kein Spoiler – virtuellen Welt, in der er gefangen ist. Sohnemann will Papa wieder zurück in die echte Welt bringen. Aber Flynn ist mittlerweile deutlich gealtert, sieht nun aus wie der Dude, wenn er sich in einen Techno-Club verlaufen hätte und hängt mit Olivia Wilde rum. Oder vielleicht will der böse CGI-Gegenspieler Clu (ein digital verjüngter Jeff Bridges; dieser Trickeffekt ist objektiv gesehen hervorragend, kommt aber trotzdem niemals gegen die hyperrealistischen Cyber-Wesen aus “Avatar” an und zeigt ein weiteres Mal, dass das Uncanny Vally noch lange, lange nicht durchschritten ist) auch die Flucht verhindern. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr. Und genau hier liegt das größte Problem.

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Alles, wirklich alles in diesem Film ist völlig belanglos und irrelevant oder, wie der Spiegel meint, “entspannt”. Nach einem etwas ungelenken, aber hoffnungsvollen Start verliert “Tron: Legacy” jegliche Kohärenz und zersplittert schon bald zu einem optisch beeindruckenden, aber in dieser Hochfrequenz ermüdenden Effektgewitter. Natürlich muss im Jahr 2011 alles noch bunter, noch größer, noch krasser sein als in den total lahmen 80ern. Also findet das Disc-Duell jetzt mit mehrern Kämpfern auf drei Ebenen gleichzeitig statt wenn die Spieler getroffen werden zerfallen sie rasselnd zu bunten Datenwürfeln und die Lightcycles können jetzt auch Kurven fahren und an der Decke und überall und dann landet mal wieder einer auf dem Knie und Oliva Wilde ist für irgendwas ganz wichtig und die ganzen Farben und Effekte und so und dann kommt dann dieser Club mit der Musik von Daft Punk und dann ist da dieser weiße Clubbesitzer, der aussieht wie das adoptierte Ziehkind vom Merowinger und Ziggy Stardust und dann überfallen die Bösen diesen Club oder so und dann … und dann brauchte ich mal ’ne Pause. Eine längere.

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Es gab und gibt ganz sicher bedeutend schlechtere Remakes und Sequels. Aber letztendlich ist “Tron: Legacy” eine dicke Enttäuschung. Wenn Jeff Bridges höchstpersönlich mitmischt und so viele Jahre nach dem Original wieder in den Cyberspace abtaucht, darf man wohl etwas mehr erwarten als das übliche “GUCKT MAL WIE SUPERKRASS HIER ALLES IST!!!”-Actiongematsche, das immer gleich aussieht, immer gleich schmeckt und für die immer gleiche Magenverstimmung sorgt.

Man mag vom ersten „Tron“ Anfang der 80er halten, was man will. Vielleicht war er nie das verkannte Meisterwerk, zu dem es Geeks mittlerweile hochstilisiert haben. Aber bei aller berechtigten Kritik, damals wie heute, eines hat niemand JEMALS über “Tron” gesagt: „Hab ich alles schon tausendmal gesehen.“

Bis heute.

“Tron: Legacy” läuft ab dem 27. Januar in deutschen Kinos. Eure Prognose?