Schluss machen tut weh – das wissen wir alle. Aber nicht nur Liebesbeziehungen enden irgendwann (und manchmal in Blut und Tränen), sondern auch geschäftliche Partnerschaften. So geschehen im Fall “Infinity Ward vs. Activision” Dass sich führende Mitarbeiter des Entwicklungsstudios von “Modern Warfare 2” von ihrem ehemaligen Publisher losgesagt haben, dürfte hinlänglich bekannt sein. Aber wie war das jetzt genau – wer wurde gefeuert? Und von wem? Warum? Und was wird nun aus dem weltweit renommierten Entwicklerstudio? Lest hier die Chronik einer medialen Schlammschlacht mit allem, was dazu gehört – Anschuldigungen, Zickereien und gegenseitige Schuldzuweisungen.

Spiegel Online hätte es nicht besser machen können.

1. März
Activision merkt in einem Bericht an die amerikanische Börsenaufsichtsbehörde an, dass zwei führende Mitarbeiter von Infinity Ward wegen “Vertragsbruch und Insubordination” entlassen wurden.
Am selben Tag aktualisieren Jason West, der Geschäftsführer von Infinity Ward, sowie CEO und Mitbegründer Vince Zampella ihre Profile auf der Seite LinkedIn und bezeichnen sich als “ehemalige Angestellte”.
Auf der Facebook-Seite von Jason West erscheint folgender Eintrag:

Hier war mal ein Bild


Zwischen Mitarbeitern von Activison, West und Zampella kommt es zu einem Treffen, nach welchem West und Zampella nicht mehr gesehen werden. Kurz danach erscheinen Sicherheitskräfte unangekündigt im Entwicklerstudio.

2. März
Activision bestätigt die Trennung von West und Zampella. Technik-Chef Steve Pierce und Produktionsleiter Steve Akrich übernehmen vorübergehend die Leitung von Infinity Ward.
Gleichzeitig gibt Activision bekannt, dass das Studio Sledgehammer Games einen neuen “Call of Duty”-Teil entwickeln wird, der im Action-Adventure-Genre angesiedelt sein soll. Zudem soll bereits im Herbst ein weiteres Spiel der Reihe erscheinen, diesmal unter der Regie des Studios Treyarch. Treyarch hatte zuvor u.a. bereits “Call of Duty 3” und “Call of Duty: World at War” produziert.
Ein offizieller Grund für die Trennung von West und Zampella ist nicht bekannt; allerdings sprechen Insider davon, dass Infinity Ward neben den “Call of Duty”-Spielen einen ganz neuen Science-Fiction-Titel entwickeln wollten, über den sie bereits im Juni 2008 gesprochen hatten. Davon soll Activision nicht begeistert gewesen sein, die lieber noch ein paar profitstarke “CoD”-Episoden hätten. Außerdem habe Activision noch keinerlei Tantiemen an Infinity Ward gezahlt – obwohl “Modern Warfare 2” dem Publisher eine Milliarde Dollar Umsatz gebracht hat.

3. März
Jason West und Vince Zampella verklagen Activision auf Zahlung der ausstehenden Tantiemen. Die belaufen sich immerhin auf 36 Millionen Dollar. Noch wichtiger: Auch die Rechte an der gesamten “Call of Duty”-Franchise sollen weiterhin komplett bei West und Zampella liegen. Sollte die Klage Erfolg haben, haben West und Zampella die kreative Kontrolle über alle “Call of Duty”-Teile, die nach dem Vietnam-Krieg, in der nahen oder fernen Zukunft spielen – kurz gesagt, die ein ähnliches Setting wie die beiden “Modern Warfare”-Episoden haben.
Die Anklage nennt das Vorgehen von Activision “eine Farce” und behauptet, dass West und Zampella sechs Stunden lang in einem fensterlosen Raum von Activision-Mitarbeitern verhört wurden, um Beweise für Insubordination und Treuebruch aufzudecken. Diese Verhöre, so Anwalt Schwartz, dienten nur dem Zweck, West und Zampella unter vorgeschobenen Gründen feuern zu können – und so die Zahlung der Tantiemen zu vermeiden.
Die gesamte, 16-seitige Anklageschrift, könnt ihr hier nachlesen.

4. März
Activision gibt sich “enttäuscht” über die Klage ihrer ehemaligen Mitarbeiter und sieht sich weiterhin im Recht.
Am selben Tag wird bekannt, dass Activision den Verbleib von Dokumenten recherchiert, die eine Kontaktaufnahme zwischen West/Zampella und anderen Videospielpublishern beweisen sollen. Besonders brisant: Unter den kontaktierten Konkurrenten soll auch Electronic Arts sein – zweitgrößter Spielehersteller der Welt und Activisions schärfster Mitbewerber.

12. März
Die Los Angeles Times berichtet, dass West und Zampella ab sofort bei der Creative Artists Agency, kurz CAA, unter Vertrag stehen. Die CAA ist die größte Talentagentur Hollywoods.

5. April
Todd Alderman und Francesco Gigliotti verlassen Infinity Ward, offenbar aus freien Stücken. Alderman war Lead Designer und sowohl am Multiplayer-Part sowie an der Story von “Modern Warfare 2” beteiligt. Gigliotti hatte den Job des leitenden Software-Entwicklers.
Auf dem Business-Portal LinkedIn machen Sie ihren Weggang von Infinity Ward öffentlich.

Hier war mal ein Bild



9. April
Activision reicht die Gegenklage gegen West und Zampella ein.
Darin wirft Activision West und Zampella vor, gierig und selbstsüchtig geworden zu sein. Laut Activision sollen die beiden auch die Vorproduktion von “Modern Warfare 3” verzögert haben, das der Publisher gerne 2011 veröffentlichen würde. Interessant: Auch die Anklageschrift deutet an, dass es geheime Gespräche zwischen dem Programmier-Duo und Electronic Arts gegeben habe – allerdings ohne konkrete Namen zu nennen (“…to meet with the most senior executives of Activision’s closest competitor.”)
Zudem lehnt Activision weitere Zahlungen an West und Zampella ab. Jason Schwartz, Anwalt der beiden, nennt die Anschuldigungen “falsch und empörend”.
Die gesamte Gegenklage von Activision gibt es hier zum Nachlesen.

12. April
Jason West und Vince Zempella gründen das Entwicklerstudio “Respawn Entertainment.” Das junge Unternehmen hat dabei einen exklusiven Publishing-Deal mit – drei mal dürft ihr raten – Electronic Arts, bleibt dabei aber unabhängig. Ihr früheres Studio Infinity Ward bleibt weiterhin in Besitz von Activision.
Die beiden wissen selber noch nicht, was ihr erstes Spiel unter neuer Flagge sein wird.

Am selben Tag kündigen Programmierer John Shiring und Designer Mackey McCandish ihre Jobs bei Infinity Ward. Dito der Senior Animator Bruce Ferriz.
Damit ist das Team, das “Modern Warfare 2” zu einem weltweiten Erfolg gemacht hat, in anderthalb Monaten um sieben Mitarbeiter geschrumpft.

13. April
Die Kündigungswelle geht weiter: Die Lead Designer Steve Fukuda und Zied Reike werfen das Handtuch bei Infinity Ward. Ebenso der Programmierer Rayme Vinson und Lead Artist Chris Cherubini.

14. April
Mark Grigsby und Paul Messerly ziehen nach und kehren Infinity Ward den Rücken. Damit gehen der Lead Animator und der Lead Character Animator. Messerly war seit der Gründung von Infinity Ward im Jahr 2002 an Bord.

Seit der Kündigung von Jason West und Vince Zampella haben 13 Teammitglieder von Infinity Ward ihren Arbeitgeber verlassen, darunter die meisten Führungskräfte.

Wie seht ihr die Sache? War Activision einfach nur zu geizig und hat einen riesigen Fehler gemacht? Oder überlebt eine so starke Marke wie “Call of Duty” auch den Verlust ihrer führenden Köpfe? Wie sieht die Zukunft für den erfolgreichsten Ego-Shooter aller Zeiten aus? Diskutiert im Kommentar-Bereich!