Alice im Wunderland. Mal wieder, möchte man meinen. Wer mal bei IMDB danach sucht, wird feststellen, dass Lewis Carolls Geschichte schon dutzende Male verfilmt wurde. Und das sind nur die Ergebnisse mit dem original Titel. Von etwaigen Ablegern mit anderen Namen ganz zu schweigen.
Trotzdem empfand ich latente Vorfreude, als ich erstmals von Tim Burtons Umsetzung hörte. Das liegt nun nicht unbedingt daran, dass ich ein riesiger Burton-Fan bin, aber zumindest kann ich dem Mann trotz katastrophaler Flops wie “Mars Attacks!” oder “Planet der Affen” durchaus eine bisweilen skurrile und düstere Fantasie attestieren. Gerade mit Filmen wie “Big Fish”, “Beetle Juice” oder “Eward mit den Scherenhänden” hat Burton bewiesen, dass er das Zeug hat um zu den wichtigsten Regisseuren des amerikanischen Kinos zu gehören. Hollywood liegt dem exzentrischen Californier ohnehin zu Füßen, was nicht zuletzt an seinem Lieblingsschauspieler und Muse Johny Depp liegt. Zum sechsten Mal stand Depp unter Führung von Burton vor der Kamera (“Corpse Bride” nicht mitgezählt) und eigentlich ist diese Partnerschaft ein Garant für gelungene und fantasievolle Kino-Unterhaltung. Ich sage eigentlich, weil “Alice im Wunderland” die bislang schlechteste Kooperation der beiden Exzentriker ist. Und das ist durchaus überraschend, denn eigentlich scheint Carolls Roman-Vorlage wie gemacht für den Visonär Burton. Eine Welt voll abgedrehter Charaktere, fantastischer Lebewesen und mystischer Orte. Das Ganze garniert mit den neuesten Effekten, einer Riege Superstars und dann auch noch in 3D! Kreisch
Eigentlich hätte hier nichts schief gehen können. Wie gesagt: eigentlich.

Hier war mal ein Bild das leider nicht gebackupt wurde :(

Denn anstatt die beiden Bücher “Alice im Wunderland” und “Alice hinter den Spiegeln” erneut und zeitgemäß umzusetzen, erzählt Burton eine neue Geschichte im Wunderland, geschrieben von Linda Woolverton (“König der Löwen”, “Mulan”). So spielt die Geschichte auch 13 Jahre nach den Geschehnissen, die wir aus den oben erwähnten unzähligen Verfilmungen und natürlich aus den Büchern kennen. Alice, gespielt von der wirklich bezaubernden Australierin Mia Wasikowska, ist in Burtons Version kein kleines Mädchen mehr, sondern eine junge Frau. Während einer groß angelegten Gartenfeier auf dem Anwesen ihrer Eltern, hält der wohlhabende aber langweilige Lord Hamish, vor den noblen Gästen, um ihre Hand an. Alice flieht von der Szene und folgt einem weißen, äußerst nervösem Kaninchen in den Wald, und dort durch ein Loch im Boden in das verzauberte Wunderland. Dort angekommen trifft Alice auf alte Bekannte, wie die fliegende Grinsekatze, Diedeldum und Diedeldei oder die Haselmaus, an die sich die mittlerweile 19-Jährige Alice aber nicht mehr erinnern kann. Die Wesen im Wunderland aber brauchen die “alte” Alice, damit sie den Kampf gegen die, mit brutaler Macht herrschende, Rote Königin aufnehmen und das Wunderland retten kann…


Leider ist die Geschichte nicht halb so spannend umgesetzt, wie sie sich zusammengefasst anhört. Wer etwa von Tim Burton eine düstere Interpretation des Stoffes, im Sinne von American McGee erwartet, wird hier bitter enttäuscht. Viel mehr präsentiert Burton eine quietschbunte Disney-Geschichte ohne echten Höhepunkt, ohne Dramaturgie und roten Faden. Der Film ist nämlich vor allem eines: langweilig!

Und das ist schon wirklich eine Kunst für sich. Denn wenn ich eines nicht erwartet hätte, dann dass Tim Burton aus der fantastischen Welt Lewis Carrols eine öde Geschichte macht. Doch während der Film visuell fantastisch und ein absoluter Augenschmaus voll liebevoller Details ist, plätschert die Geschichte irgendwie so vor sich hin. Eine Szene reiht sich ohne Zusammenhang an die nächste. Charaktere werden kurz vorgestellt und verschwinden dann wieder ohne große Relevanz in der Bedeutungslosigkeit. Selbst Johnny Depp als der verrückte Hutmacher kann nicht punkten. Zum einen hat er für seine Verhältnisse wenig Screen-Zeit bekommen, zum anderen ist der Charakter einfach unsympathisch und spielt in der gesamten Handlung auch nur eine untergeordnete Rolle. Gleiches gilt übrigens auch für Anne Hathaway, die als Weiße Königin im wahrsten Sinne des Wortes ziemlich blass bleibt. Überhaupt kann so richtig nur Burtons Gattin Helena Bonham Carter als Rote Königin überzeugen. Das liegt nicht unbedingt nur an ihrem Talent, denn das haben zweifelsohne auch die anderen Darsteller, sondern viel mehr daran, dass sie als Einzige einen wirklichen Charakter verkörpern darf. Bei allen anderen überwiegt entweder die Belanglosigkeit oder die Optik.
Unterm Strich bleibt dann auch nicht viel übrig, außer einem zwar nett anzuschauenden, aber irgendwo arg blutleeren und anspruchslosen Kinofilm, der deutlich auf ein junges Publikum zugeschnitten ist. Schade.

„Passt wie Arsch auf Eimer“ sagt man gemeinhin, wenn etwas zusammenwächst, was von Anfang an zusammengehört hat. Und genau das dürften die meisten von uns gedacht haben, als bekannt wurde, dass Hollywood-Exzentriker und Kamm-Verweigerer Tim Burton eine Neuverfilmung der weltbekannten Geschichte von Alice im Wunderland plante. Passender hätte es nicht sein können: Burton, der Meister des Skurrilen – und Alice, das verwirrte blonde Mädchen, das sich urplötzlich in einer schrägen Welt voller gestresster Hasen, wahnsinniger Hutmacher und grinsender Schwebekatzen wiederfindet. Und weil Burton gerne seine besten Freunde und Familie beim Dreh um sich hat, mischen selbstverständlich wieder sein Busenfreund Johnny Depp sowie Burtons Partnerin Helena Bonham Carter als die Herzkönigin mit. Müsste doch ein todsicherer Hit werden, der locker an alte Glanztaten wie „Beetlejuice“, „Big Fish“ und „Corpse Bride“ anknüpfen kann, sollte man meinen. Sowas macht der Burton doch im Schlaf! Tja nun.

Auch wenn Burtons Version der Geschichte als Sequel angelegt ist, sollten doch jedem die Grundzüge bekannt sein: Die mittlerweile 19-jährige Alice (Mia Wasikowska) stolpert, von ihrer Neugier getrieben, ein weiteres Mal in den Kaninchenbau und findet sich prompt im Titel gebenden Wunderland wieder. Auch wenn sie sich nicht an ihren ersten Besuch als kleines Mädchen erinnern kann, scheint ihre Rückkehr ins kunterbunte CGI-Märchenreich kein Zufall zu sein. Unter der Knute der im wahrsten Sinne des Wortes „großkopferten“ Herzkönigin (Bonham Carter) terrorisiert nämlich das Ungetüm Jabberwocky die Bewohner des Wunderlands. Klarer Fall: Nur eine Auserwählte kann das Monster bezwingen und das Land von der Schreckensherrschaft der Herzkönigin befreien.


Moment mal – Auserwählte? Kein Zufall? Von irgendwas befreien? Klingt irgendwie gar nicht mehr nach der Originalgeschichte, die gerade durch ihre Aufbrechung gängiger Erzählstrukturen zu Weltruhm kam. Und genau hier liegt der lustische Glückshase im Pfeffer – denn „Alice im Wunderland“ ist leider kein waschechter Burton-Film, der zufällig über Disney vertrieben wird. Sondern ein Disney-Familienfilm, bei dem Tim Burton Regie geführt hat. Das muss per se nichts Schlechtes sein und ist ein völlig legitimer Ansatz, eine bereits bekannte Geschichte neu zu erzählen. Doch der Disney-Maulkorb verhindert, dass Burton auch diesmal wieder kraftvoll zubeißen kann. Seine weichgespülte „Alice“-Version lässt von der Abgründigkeit und der oftmals irritierenden Sinnlosigkeit der Vorlage nur wenig übrig. Abgedreht darf es gerne sein, aber bitte nicht zu sehr, das ist schlecht fürs Einspielergebnis!


Wer schon mal in einer Studenten-WG war, kennt möglicherweise das Postermotiv der Shisha rauchenden Raupe auf dem Pilz, die so, ähm, “weise” ist, dass sie sich nur in verwirrenden Rätseln äußert. Was genau sie da die ganze Zeit quarzt, wird nie ganz klar, aber ihr scheint’s gut zu bekommen. Ihr wisst schon, knick-knack. Nicht ganz zu unrecht ist die blaue Raupe mittlerweile das inoffizielle Maskottchen all jener, die sich abends gerne so entspannen, wie es unsere Eltern vermutlich auch getan haben. Diese offensichtliche Drogen-Metapher hat im 2010er-“Alice“ allerdings keinen Platz mehr – und so wird aus der dauerbreiten Space-Raupe ein brummelndes CGI-Würmchen mit der Stimme von Alan Rickman, das altklug an der Pfeife pafft. Bitte nicht falsch verstehen: Der Punkt hier sind nicht die Drogen. Sondern das abgründige Potenzial, das Alice’ Traumwelt und ihre Bewohner einem kreativen Genie wie Tim Burton bieten und das er leider so oft verschenkt. Jede Figur aus dem „Alice“-Universum wandelt auf dem schmalen Grad zwischen harmloser Verschrobenheit und ausgewachsenem Wahnsinn, ist ebenso putzig wie gefährlich, da völlig unberechenbar. Bei Tim Burton sind alle nur noch putzig. So schwebt die unsichtbare Grinsekatze ein paar Mal durchs Bild und führt Johnny Depp als Verrückter Hutmacher seine patentierte One-Man-Show vor, wirklich interessant oder wahrhaft lebendig ist jedoch keiner der Charaktere. Und ob der semi-coole Freudentanz am Ende wirklich sein musste ? Eine nicht repräsentative Umfrage unter Eddy und mir ergab: 94,2 % der Befragten meinten Nein.

Hier war mal ein Bild das leider nicht gebackupt wurde :(

Es scheint eine bittere Ironie des Hollywood’schen Schicksals zu sein, dass gerade Burtons Arsch-auf-Eimer-Projekt „Alice im Wunderland“ zu einer mittelschweren Enttäuschung geriet. Und auch wenn es gar zu billig ist, das altbekannte Protestlied gegen die ach so bösen Großkonzerne anzustimmen: Sehr wahrscheinlich wäre „Alice“ das erhoffte Fantasy-Meisterwerk geworden, wenn der Familien-Moloch Disney nicht seine Finger im Spiel gehabt hätte. Wenn Burton sich hätte einfach austoben können in all seiner Exzentrik und Morbidität, für die wir ihn immer noch wertschätzen. Wenn sie ihn, nun ja, einfach mal hätten machen lassen. So aber zeigt Burtons uns eine lediglich optisch spannende Wunderwelt, schneidet recht holprig von einer Einzelszene zur nächsten, bekommt keine wirklich mitreißende Dramaturgie hin (“Ich kämpfe doch für euch nicht gegen dieses Monstervieh! Nein, nein, nein! (Pause) Okay, ich mach’s”) und lässt alles in einer familienfreundlichen “Schlacht” enden, die eher nach Narnia als nach dem Wunderland riecht. Das lässt die Kassen klingeln, schon klar. Aber wenn DAS wirklich Tim Burtons ureigene Wunschversion des weltbekannten Stoffes sein sollte, hat er seine Kreativität und seinen Mut zum Düsteren irgendwann in den letzten Jahren verloren, als er dem Bus nachgerannt ist. Und ich weigere mich, das zu glauben. Deswegen wird Disney Schuld haben, so.

“Alice im Wunderland” ist einer jener Filme, bei denen man sich schon beim Anschauen den Director’s Cut wünscht. Quasi die “Fuck Disney!”-Version. Wird es wahrscheinlich nie geben. Aber darin wäre die blaue Raupe garantiert dicht bis in die Borstenspitzen. Und vermutlich würde sie auch nicht auf einem Pilz liegen, sondern auf einem riesigen Totenschädel oder so. Ach, wäre das schön gewesen.

P.S.: Noch ein ganz kurzer Hinweis auf einen recht ähnlichen Film: Der kleine Kultklassiker “Return to Oz” hat schon 1985 gezeigt, wie’s besser geht. Darin bereist Dorothy Gale ein weiteres Mal das Land Oz und findet dort alles verfallen vor. Auch hier das Sequel zu einer weltbekannten Geschichte, die in diesem Falle aber logisch, originell und beizeiten wirklich gruselig weitererzählt wird. Mit richtig handgemachten Tricks! Und mit Fairuza Balk in der Titelrolle, die heute SO aussieht:


Kleiner Tipp für Aufgeschlossene. Ach ja, und hier ist noch der Trailer zu “Alice im Wunderland” – ab Donnerstag im Kino.