Ach, verdammt. Quentin Tarantino, du Spielverderber. Hast mir mit “Inglourious Basterds” den Anfang zu diesem Artikel kaputt gemacht. Eigentlich sollte das hier nämlich ein Verriss werden, der mit dem Zitat aus “Trainspotting” beginnt: “Du bringst es … und irgendwann bringst du es nicht mehr.” Denn seien wir mal ehrlich: “Kill Bill 2” war gut, aber schon weitaus schwächer als der brachiale Vorgänger. Und “Death Proof” – ach, was soll’s, sagen wir doch, wie es ist: “Death Proof” war eine richtige Schlaftablette. Keine guten Vorzeichen also für den neuen Film des Mannes, der ohne Zweifel zu den wichtigsten und besten Regisseuren der Gegenwart zählt. Und als dann noch die ersten miserablen Kritiken für “Inglourious Basterds” aus Cannes kamen (zu lang, zu langweilig, zu doof), schien die Sache so gut wie sicher: Tarantino bringt’s einfach nicht mehr. Die Pressevorführung seines heiß ersehnten sechsten Spielfilms brachte nun endlich Gewissheit – Top oder Flop? Nach den ersten Minuten dachte ich: “Na ja, soooo schlecht ist er ja gar nicht.” Als der Film zu Ende war, war ich schon bei: “Also eigentlich war er besser, als ich erwartet habe.” Und heute, einen Tag später, proklamiere ich hiermit feierlich: “Inglourious Basterds” ist Quentin Tarantios bester Film seit “Pulp Fiction”. Suck it, haters.

Zu erklären, warum Tarantino mit dem sehr untypischen Kriegs-Klamauk-Action-Spaghettiwestern-Charakterdrama endlich zu alter Stärke zurück findet, dauert schon ein bisschen länger. Nehmt euch also ein paar Minuten, Freunde – soviel Zeit muss sein.

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Es ist ja kein Geheimnis, dass “Inglourious Basterds” zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt – im Jahr 1944, um genau zu sein. Unter der Leitung des amerikanischen Raubeins Lieutenant Aldo Raine (Brad Pitt mit breiter Narbe am Hals und noch breiterem Tennessee-Akzent) gehen die Titel gebenden Basterds im besetzten Frankreich auf Nazi-Jagd. Die Basterds, das sind eine Handvoll unerschrockener Himmelhunde, die nur ein Ziel verfolgen: Unter den deutschen Besatzern Angst und Schrecken zu verbreiten – und zwar mit allen Mitteln. 100 Nazi-Skalps will Raine von seinen Männern und keinen weniger. Dass er sie auch bekommt, dafür sorgen “Spezialisten” wie Seargant Donny Donnowitz, genannt der “Bärenjude”. Warum er diesen Spitznamen trägt? Nun ja, sagen wir es so: Er wird gespielt vom “Hostel”-Regisseur Eli Roth, hat ungefähr die Statur eines Wandschranks und einen Baseballschläger. Alles klar? Außerdem dabei: Hugo Stiglitz, Ex-Wehrmachtssoldat und Vollzeit-Psychopath, verkörpert von unserem (ahem) Vorzeigestar Til Schweiger. Und ob ihr es glaubt oder nicht: In “Inglourious Basterds” nervt er nicht, sondern ist sogar – ich traue mich kaum, es laut zu sagen – eine verdammt coole Sau. Schon allein das beweist die Güte des Films sowie die Qualitäten des Regisseurs Tarantino. Nicht schlecht, Quentin, du alter Fuchs.

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Doch es geht eben nicht nur um die Bastarde. Ich will und werde nicht viel mehr über die wirkliche Story verraten, aber soviel sei gesagt: Es geht auch um die deutsche Schauspielerin Bridget von Hammersmark (Diane Krüger) und ein Gipsbein. Es geht um die französische Kinobesitzerin Shosanna Dreyfus (Mélanie Laurent) und den jungen Soldaten Fredrick Zoller (Daniel Brühl). Und vor allem geht es um Christoph Waltz als Standartenführer Hans Landa. Er ist Ausgangs- und Endpunkt der Geschichte, die erst im furiosen Finale so richtig Sinn ergibt. Und diesmal ist die Bezeichnung “furios” auch wirklich angebracht. Es brennt mir auf den Nägeln, mehr zu sagen – aber ihr werdet es sehen. Und die letzten Minuten wahrscheinlich nicht so schnell vergessen.

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An dieser Stelle muss ein Wort über die Schauspieler erlaubt sein. Ein Film, der seine Charaktere derart in den Mittelpunkt rückt, steht und fällt natürlich mit den Leistungen der Beteiligten. Und erfreulicherweise leistet sich kein Mitglied des Ensembles einen Patzer: Brad Pitt ist ja sowieso über jeden Zweifel erhaben und gibt den Draufgänger ohne große Mühe, aber sehr überzeugend (und staubt mir einem einfachen “Bon giorno!” gegen Ende den größten Lacher des Films ab). Schnuckelchen Diane Krüger umgibt sich mit der richtigen Mischung aus Eleganz und Undurchschaubarkeit. Daniel Brühl, Mélanie Laurent, August Diehl als Sturmbannführer Hellstrom – sie alle machen ihren Job gut bis großartig. Ein paar unvermutete Gastauftritte erfreuen fleißige Kinogänger zusätzlich – so halte ich jede Wette, dass ganz am Ende Bela B., Drummer der Besten Band der Welt aus Berlin, für ungefähr zwei Sekunden auftaucht. Und wer ein Cameo als britischer Oberkommandant mit krassem Makeup hat … tja, ihr werdet ihn schon erkennen. Aber jeder einzelne Mime verblasst gegen einen Mann: Christoph Waltz. Im Ernst, die wenigsten von uns werden ihn kennen (noch am ehesten aus “Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit” und dem einen oder anderen TV-Film), aber was der gebürtige Österreicher hier abliefert, ist, mit einem Wort, sensationell. Sein Obernazi Hans Landa ist so eine eindringliche Filmfigur, dass da bitteschön ein paar Schauspiel-Preise fällig sind. Landa, der “Judenjäger”, der eloquente, verstörend freundliche Massenmörder, der vier Sprachen fließend spricht und Apfelstrudel liebt. Der immer die besten Manieren an den Tag legt, aber einen untrüglichen Killerinstinkt hat. Kein unberechenbarer Irrer, sondern ein hochintelligenter, manipulativer Spürhund. Das ist wirklich ganz, ganz großes Kino – und beweist ein weiteres Mal, dass Quentin Tarantino ein goldenes Händchen in der Wahl seiner Darsteller hat.

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Aber was macht den Film denn nun so gut? Die Tatsache, dass Tarantino endlich wieder das tut, was er kann – eine Gangstergeschichte erzählen. Lasst euch vom historischen Hintergrund nicht irritieren – im Grunde geht es um einen großen Coup und mehrere Parteien, die sich gegenseitig ausspielen. Also pfeift Tarantino auf Authentizität, schreibt mal eben die Weltgeschichte um, führt neue Figuren ein, um sie danach erstmal wieder in den Hintergrund zu stellen und nimmt sich vor allem Zeit. Viel, viel Zeit. Zweieinhalb Stunden Lauflänge kommen nicht von ungefähr. Wer also ein wüstes Actionfeuerwerk erwartet, in dem jede Sekunde etwas wichtiges passiert, sitzt definitiv im falschen Film. Dialoge, Baby. Tarantino liebt Dialoge. Also reden seine Figuren miteinander – da ist es nicht so wichtig, worüber sie reden, sondern dass sie reden. Sicher: Die eine oder andere Szene hätte man etwas straffen können, ohne dass etwas von der Substanz des Films verloren ginge. Doch anders als bei “Death Proof”, haben die Rededuelle in “Inglourious Basterds” einen Zweck, und der heißt “Stimmung”. Als Beispiel sei die garantiert bald legendäre Keller-Sequenz genannt: Hier passiert für etwa 20 volle Minuten absolut nichts außer Trinken, Kartenspielen und Reden. Aber wenn diese Szene endlich ihr Ende findet (und was für ein Ende das ist…), ist die Luft zwischen allen Beteiligten so dick, dass man sie zerschneiden kann. Und da sich der alte Kino-Nerd Tarantino diesmal auch mit ach-so-cleveren Zitaten aus anderen Filmen zurück hält und sein lexikalisches Wissen nur gelegentlich aufblitzen lässt, fühlt man sich diesmal auch nicht so nervtötend belehrt wie noch in “Death Proof”. Überhaupt haben ihn die überwiegend miesen Kritiken für sein letztes Werk offenbar zurück auf den Boden der Realität geholt – selbst die obligatorischen Nahaufnahmen von Frauenfüßen beschränken sich diesmal auf das nötigste (und sind im Kontext der Story sogar notwendig). Dazu kommen Tarantino-Trademarks wie der eklektische Soundtrack, filmische Stilmittel alter Spaghettiwestern, herrlich unpassende Exploitation-Einblendung in fiesestem 70er-Jahre-Gelb und vor allem viel absurder Humor – und schlagartig weiß man wieder, warum der ehemalige Videotheken-Angestellte Quentin Tarantino vor 15 Jahren die Filmwelt im Sturm erobert hat.

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Noch kurz zur Gewalt: Zwar spielt “Inglourious Basterds” im “Tarantinoverse”, hat mit dem echten Leben also so viel zu tun wie Bully Herbig mit politischem Kabarett. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist der Film streckenweise extrem brutal. Zwar hat die gezeigte Brutalität immer den genau richtigen, irreal-überzogenen Ton, durch den die Geschichte erst funktioniert. Zarte Seelen seien aber gewarnt: Wenn Aldo Raine seine 100 Naziskalps einfordert, dann kriegt er sie auch. Und mit ihm der Zuschauer. Und auch der Baseballschläger von Donnie Donnowitz ziert nicht nur das Filmplakat, wenn ihr versteht, was ich meine. Die Gewalt in “Inglourious Basterds” explodiert – plötzlich, überraschend, hart.

Ach, ich könnte noch viel, viel mehr schreiben. Aber muss ja nicht sein, dass ihr zum Lesen genauso lange braucht wie zum Anschauen des Films. Also sage ich es zum Abschluss einfach noch mal: “Inglourious Basterds” hat Tarantino für mich rehabilitiert. Ein sehr mutiger, sehr konsequenter, sehr eigensinniger Brocken, den er uns da um die Ohren haut. Und ein Film, der seine volle Wirkung erst entfaltet, nachdem man ihn gesehen hat. Wahrscheinlich wird er die Zuschauer spalten wie kein Tarantino-Film zuvor – und das muss ja nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Ich für meinen Teil war überrascht, bin beeindruckt, schaue ihn mir ab dem 20. August garantiert noch mal an und räume schon mal einen Platz im DVD-Regal frei. Welcome home, Quentin.

P.S.: Ach ja – und auf jeden Fall in der Originalversion anschauen! Meidet die synchronisierte Fassung wie der Teufel das Weihwasser! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie bescheuert es wirken muss, wenn sowohl die Nazis, als auch die Engländer und Franzosen im Film deutsch sprechen. O-Ton ist Pflicht! Amen.