Kopfkino: Wir waren in "Brüno"
Brüno wird oft als “der neue Charakter von dem Borat-Typen” beschrieben. Das ist natürlich quatsch. Der Borat-Typ heiß Sasha Baron Cohen und Brüno gibt es schon seit über 10 Jahren. Seinen ersten auftritt hatte Cohen in der Rolle des österreichischen homosexuellen Modejournalisten (“Fashionpolizei”), als COMEDY CENTRAL noch PARAMOUNT COMEDY 1 hieß. Das war 1998. Anschließend kehrte er in der britischen “Da Ali G Show” wie auch “Borat” als regelmäßiger “Gast” zurück.
Dann kam der “Borat”-Film, der ein weltweiter Erfolg wurde. In den USA alleine spielte er fast 200 Millionen Dollar ein. Keine Frage also, dass da schnell eine Fortsetzung folgen musste. Da aber das Thema “Borat” ausgelutscht und der Bekanntheitsgrad zu groß war, musste Cohen quasi zwangsläufig sein anderes Alter Ego auf der großen Leinwand zu Leben erwecken.
“Brüno” ist dementsprechend ähnlich ausgelegt wie auch “Borat”. Es geht um das Sprengen von Konventionen, um die gezielte Provokation und das Kreieren von aberwitziger und peinlicher Situationskomik, die einem losen und eher zu vernachlässigen Handlungsstrang folgt. Im Folgenden bekommt Ihr drei Meinungen zum Film. Anmerkung: Wir haben den Film in der Originalfassung gesehen und uns die angeblich unsägliche deutsche Synchronisation gespart. Wer den Film auf Deutsch schaut, ist selber Schuld. Wir übernehmen keine Garantie, dass die Gags auch durch eine (übrigens völlig überflüssige) Synchronisation noch zünden.
Ich habe ein Problem. Es kommt fast immer ohne Vorwarnung und lässt mich dann wie einen Aal auf meiner Wohnzimmercouch umherwinden. Vielleicht könnt Ihr es Euch ja schon denken: Ich leide unter akutem “Fremdschämen”. Die Fremdscham ist das Gefühl dass sich einstellt, wenn man Leute in Situationen beobachtet, in denen man nie im Leben stecken möchte. Natürlich tritt dieser Effekt ab und zu auch im Alltag auf, aber am schlimmsten ist es beim Fernsehen. Dort hat hat sich nunmal die ganze Baggage an Sozialhilfeschmarotzern, Prollo-Kids mit Bomberjacke oder DSDS-Kandidaten mit Knoten in den Stimmbändern angesammelt… schrecklich.
Was ich im Laufe meines Krankheitsbildes gelernt habe ist, dass sich der Fremdschamfaktor mehrfach potenziert, wenn der “Auslöser” keinerlei eigenes Schamgefühl besitzt. Der Großmeister in dieser Hinsicht ist eindeutig Sacha Baron Cohen, britischer Comedian, TV-Moderator und Schauspieler. Cohen hat anscheinend einen Schalter, den er umlegen kann und dann selbst die heikelste Situation ohne mit der Wimper zu zucken übersteht. Versteckt in grundverschiedenen Rollen wie die des strunzdummen Wiggers Ali G. oder dem kasachischen Reporter Borat legt er mit teilweise perfider Absicht unwissende Leute auf’s Kreuz, die in dem Moment garnicht merken, dass sie durch den Kakao gezogen werden. Cohen schämt sich dabei nicht, seine Opfer schämen sich ebenfalls nicht… und ich versinke währendessen im Boden.
Drei Kinofilme hat Cohen bis dato selbst ins Kino gebracht, mit extrem verschiedenen Resultaten. Der erste Versuch mit Ali G. als Protagonisten ging gehörig in die Hose, weil der Streifen ein strunznormaler Film mit schlechtem Drehbuch war – der Fremdschamfaktor tendierte gegen Null, der Witz leider ebenso. Mit dem Borat-Film besann sich Cohen wieder auf seine “Ich lege Leute rein”-Masche und landete damit einen Superhit. Der Film war extrem lustig, jedenfalls wenn ich von den Teilen ausgehe die ich gesehen habe. Bis heute habe ich es nämlich noch nicht komplett bis zum Ende geschafft – Fremdschämen und so.
Aus dem Grund war ich auch ein wenig besorgt, als ich letztes Wochenende mit den Kollegen in “Brüno” reingegangen bin. Hier bringt Cohen mit dem homosexuellen “Fashionista” seine letzte Rolle aus der Ali G. Show auf die Leinwand und versprach im Vorfeld noch krasser und vor allem noch unverschämter zu sein… keine guten Vorzeichen. Knappe 80 Minuten später war der Film vorbei und ich hatte einen Knoten im Magen, jedoch nicht vom Fremdschämen, sondern weil ich so extrem gelacht habe wie nur selten in den letzten Jahren.
Obwohl “Brüno” nach außen hin auf die selbe Masche wie “Borat” setzt fühlt man dennoch, dass dort viel mehr gescripted wurde und weniger “Spontanes” passiert. Zu perfekt sind die Reaktionen von Cohens Opfern, zu nahtlos fügt sich alles in den Ablauf der Story. Ich kann mir zwar nicht 100% sicher sein was Echt ist und was sich die Drehbuchschreiber ausgedacht haben, aber dieser kleine Zweifel hat gereicht, um das Fremdschämen bei mir abzuschalten…. fast jedenfalls. Was übrig bleibt ist ein Gagfeuerwerk ohne irgendwelche Längen, gegen das die Konkurrenz gnadenlos abstinkt. Cohens Humor ist infantil, er ist krass und er funktioniert beim Ersten (und wohl einzigen) Anschauen perfekt. Ich möchte deshalb hier auch nichts anderen darüber sagen als: “Reingehen und kaputtlachen”… moment, ich will doch noch was sagen. PENIS.
Hier war mal ein Bild das leider nicht gebackupt wurde :(Ich liebe Sacha Baron Cohen. Natürlich muss man mit solchen Worten, gerade nach dem man Brüno im Kino gesehen hat, extrem vorsichtig sein. Aber man muss es mal in dieser Deutlichkeit sagen: SBC ist ein verdammtes Genie. Er hat dem Comedy-Genre einen komplett neuen Anstrich und einen komplett eigenen Style verpasst. Die “Ali G Show” war schon vor Jahren ein Highlight. Okay, der “Ali G”-Film war Grütze. Borat war genial und jetzt kommt im wahrsten Sinne des Wortes Brüno. Die Erwartungshaltung war hoch und wurde zumindest kurzfristig erfüllt. Ich habe wirklich lange nicht mehr so laut gelacht. Dabei ertappte ich mich, wie wirklich albernster “Humor” in mir ein Gefühl von Heiterkeit auslöste, wie ich es lange nicht erlebt habe. Bei Brüno sind es allerdings weniger die smarten Konfrontationen, die bei Borat so gut gezündet haben, sondern viel mehr die rohe und explizite Darstellung von Pimmeln, Schamhaaren und rasierten Arschbacken. Das ist flach, pubertär und ein bisschen homophob, aber eben auch oft sehr lustig.
Natürlich bietet das Thema “Tunte” heutzutage längst nicht mehr so viel Angriffsfläche. Den kuluturellen Clash von Borat und eine damit einhergehende, fast schon sozialkritische Satire, sucht man bei Brüno vergebens. Dazu kommt, dass viele der vermeintlich mit versteckter Kamera gedrehten Szenen, sehr konstruiert wirken. Wieso gibt es bei einer Szene im Hotel vier verschiedene, Kameraperspektiven und keiner vom Personal schaut auch nur für eine Sekunde verwundert in die Kamera? Ein Stück der Illusion, die für das Funktionieren dieser pseudo-dokumentarischen Tour de Farce unabdingbar ist, geht leider verloren. Wie bei einem Zauberer, habe ich mich oft dabei ertappt, wie ich die Szene analysiert und nach Fehlern im Setup gesucht habe. Hier wäre die “Flucht nach vorne” á la Jackass besser gewerden. Man hätte dem Publikum erklären können, wie man die Leute versucht auszutricksen. Dann hätte ich mich mehr auf die Situationskomik einlassen können. So bleibt eine etwas trübe Mischung aus Fake und Wirklichkeit, die etwas von ihrer Faszination seit Borat eingebüßt hat. Davon ab, macht Brüno einen heiden Spaß und die knapp 80 Minuten sind schnell vorbei. Wer mit Borat seinen Spaß hatte, wird auch hier auf seine Kosten kommen.
Eigentlich wollte ich ja was zu “Brüno” schreiben, ohne auch nur einmal das Wort “schwul” zu benutzen. Aber weil das nahezu unmöglich, unehrlich und vor allem langweilig wäre, sage ich es doch direkt: Gott, ist dieser Film schwul. Schwul, schwul, schwul. Damit hätten wir das geklärt und wir können zum gemütlichen Teil des Abends übergehen. Aber ich werde wenigstens versuchen, die allerschlechtesten Kalauer zu vermeiden. Und nur einmal “Penis” zu schreiben.
Ja, “Brüno” ist witzig. Auf dieselbe verstörende Art wie schon “Borat” witzig war. Wer auf Fremdschämen bis zur körperlichen Schmerzgrenze steht, kauft am besten noch heute Abend eine Kinokarte. Es sollte aber auch jedem klar sein, dass der Humor von Cohen nun mal sehr – SEHR – speziell ist. Also geht bitte nicht in den Film, wenn ihr zart besaitet, schnell empört oder der irrigen Meinung seid, dass man über Minderheiten und Randgruppen bitteschön keine Witze machen darf. In “Brüno” werden die schlimmsten und billigsten Klischees über Homosexuelle bedient, zu denen sich nicht mal Bully Herbig traut, weil sie ihm zu platt wären, und DAS will schon was heißen. Aber leider ist genau das auch ein bisschen das Problem von “Brüno”.
Denn der Charakter von Brüno ist derart überzogen, dass der satirische Aspekt des Streifens ziemlich verloren geht. Ich geb’s zu: In meinem Bekanntenkreis sind jetzt nicht sooo viele Kumpels, die auf Männer stehen. Die Gedanken- und Gefühlswelt von Hardcore-Tunten (denn genau das ist Brüno) ist mir also nicht unbedingt vertraut. Aber ich wage mal zu behaupten: Die sind nicht wirklich so. Die sehr extreme Figur von Brüno provoziert nun mal sehr extreme Reaktionen, die vielleicht nicht immer zweifelsfrei auf die Einstellung der Beteiligten schließen lassen. Oder anders gesagt: Wenn ein nackter Mann bei mir nachts ins Zelt käme, würde ich auch nicht anders reagieren als ein konservativer Redneck und Waffennarr im amerikanischen Hinterland. Solch eine Szene ist lustig und herrlich peinlich, aber sie sagt nicht wirklich etwas aus.
Deswegen: “Brüno” ist wirklich witzig, Cohen geht wieder mal voll in seiner Rolle auf (alleine, wie er da beim Medium Kontakt mit dem einen toten Sänger von Milli Vanilli aufnimmt…), viele, viele schlimme Szenen – aber so hohe Wellen wie “Borat” wird er (zu Recht) nicht schlagen. Hier wäre weniger vielleicht ein bisschen mehr gewesen. Aber ich freue mich, dass ich dank der Pressevorführung die Szene sehen durfte, in der sich Brüno das Handy von LaToya Jackson schnappt und vor versammelter Mannschaft die Handynummer von Michael raus sucht und vorliest. Die hat Cohen aus gegebenem Anlass entfernen lassen. Schade eigentlich.
SPOILER
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P.S.: Und der “Brüno!” brüllende Penis ist schon jetzt ein Klassiker der Filmgeschichte. Also meiner eigenen.