Kopfkino: Antichrist
“Transformers 2” hat rund 195 Millionen Dollar gekostet. Man muss sich das mal klar machen: Irgend jemand hat Michael Bay, dem Genie hinter “Pearl Harbor”, einhundertfünfundneunzig Millionen Dollar gegeben, statt mit der Kohle, sagen wir mal, Menschen vor dem Verhungern zu retten. Das hat alles nichts mit “Antichrist” zu tun, aber es versetzt mich in die passende miese Stimmung, um “Antichrist” gebührend zu würdigen. Wer nämlich, wie ich, die Schnauze voll hat von hirnlosen Sommer-Blockbustern, die fast zu dumm sind, um sich darüber aufzuregen, darf sich auf was ganz Feines freuen.
Lars von Trier hat einen neuen Film gedreht. Der eine oder andere von euch mag den sympathischen Dänen von tollen Streifen wie “Dancer in the Dark”, “Dogville” oder der Serie “Geister” kennen. Seine Filme sind immer etwas…anders, überraschen, fordern heraus. Herausgefordert fühlten sich auch viele Kritiker in Cannes, wo “Antichrist” gezeigt wurde. Laut Medienberichten waren viele Schreiber von dem Film dermaßen schockiert, dass sie sich übergeben mussten, rausgingen oder direkt ohnmächtig wurden. Cannes hatte seinen Skandalfilm, Lars von Trier jede Menge Gratis-Publicity und ich einen ganz heißen Geheimtipp, auf den ich mich freuen konnte.
Leider läuft “Antichrist” erst im September an, aber der Besuch der Pressevorführung hat bestätigt: Spitzenfilm. Kein Streifen, den man in geselliger Runde mit den Kumpels einlegt, aber ein großes Kunstwerk. Ja, ich sage es gerne nochmal: KUNST.
Und was ist an dem Streifen nun so toll? Wenden wir doch unser knallhartes Testschema für großartige Filme an:
- Expliziter Sex in den ersten fünf Minuten? Check!
- Noch mehr expliziter Sex in den ersten fünf Minuten? Check!
- Die etwas gruselige Erkenntnis, dass es Willem Dafoe ist, der da Sex hat? Check!
- Surreale Traumsequenzen mit einem sprechenden Fuchs und nackten Frauen im Wald? Check!
- Ein Blut ejakulierender Penis? Check!
- Selbstverstümmelung mittels einer Schere in Großaufnahme, nachdem die Protagonistin Willem Dafoe einen Holzscheit in den Unterleib gerammt hat, was zu erwähnter Blut-Ejakulation führt UND nachdem sie ihm einen verdammten Mühlstein ans Bein genagelt hat? Check!
- Kein Shia LeBeouf? Check!
Ich erwähnte bereits, dass “Antichrist” nicht für jedermann ist. Tatsächlich scheint Lars von Trier auf den Pfaden von David Lynch zu wandeln (der beste Regisseur der Welt. Der Welt.) – “Antichrist” ist ein sehr schwer zu durchschauender Psychotrip, voll gepackt mit Symbolen und Metaphern, Kunstkino in Reinform. Ein sehr spezieller Film für ein sehr spezielles Publikum. Und nein, ich habe den Film auch nicht ganz gerafft. Aber seitdem schwirrt er mir unablässig im Kopf herum, was weißgott die wenigsten Filme schaffen. Und es ist ja auch mal nett, sich gedanklich mal mit etwas anderem zu befassen als Steuererklärungen, Sara Jean Underwood in Netzstrümpfen und der Frage, warum das Missionsdesign von “InFamous” so beschissen geworden ist. Aufgepasst und Spaß gehabt! “Antichrist” ist dermaßen komplex und intelligent, dass ich mir beim Gucken ziemlich doof und überfordert vorkam. Aber nachdem ein Film wie “Transformers 2” den Begriff “Schwachsinn” letztens völlig neu definiert hat, ist es eine wahre Wohltat, mal wieder einen klugen Film gesehen zu haben. Auch wenn er viel klüger ist als ich, der Arsch.
Ach ja, der eine oder andere wird jetzt vielleicht kritisch anmerken, dass ich kein einziges Wort zur eigentlichen Handlung verloren habe. Das stimmt. Ich bin mir nämlich immer noch nicht ganz sicher, was in “Antichrist” wirklich passiert ist und was das alles sollte und überhaupt, wo kamen denn die ganzen nackten Frauen her? Also lass ich das direkt. Und außerdem: Muss man denn immer haarklein wissen, was in einem Film passiert? Warum sollte man ihn sich denn dann überhaupt noch ansehen, verdammt? Kann man sich nicht einfach mal überraschen lassen? Aber gut, damit ihr wenigstens eine leise Ahnung habt, worum es in dem Film gehen könnte, hier der Trailer:
Gut, ne? Also noch mal: “Antichrist” ist definitiv kein Mainstream-Film, sondern ein verstörendes, vielschichtiges Kunstwerk, dass man am besten zweimal anschaut. Und sich dann tagelang darüber den Kopf zermartert. Probiert’s aus, im Ernst.
P.S.: Michael Bay ist ein Idiot.
FSK: tba
Verleih: MVA+ Filmverleih
Link: Die offizielle Seite zum Film