Ein Genre in der Krise

Gute Kritiken sind nicht immer ein Garant für gute Filme, das ist klar. Zumindest können gute Kritiken aber Interesse wecken. Besonders dann, wenn es um ein Genre geht, in dem (zu Recht) eher selten gut gemeinte Rezensionen zu finden sind. Ich rede natürlich vom Genre des Horrorfilms. Egal ob mega-erfolgreich oder Riesenflop, nur wenige Schocker schaffen es heute noch gute Bewertungen abzustauben. Das liegt nicht unbedingt an den Kritikern, sondern an den ziemlich austauschbaren und sich alleine auf explizite Gewaltdarstellung verlassenden Filmen. Was der Slasher in den späten 90ern war, ist der Gore-Porn heute. Dank Saw, Hostel und Co. ist das Horror-Genre vorhersehbar, langweilig und bisweilen auch fragwürdig geworden. Ähnlich wie bei einem Porno, dient die Story nur als Rahmen, um extreme Darstellungen zu rechtfertigen. Wo der erste Teil von Saw noch einigermaßen clever überzeugen konnte, verkamen die restlichen 73 Teile zu einer bloßen Verstümmelungs-Safari. Ein scheinbar neuer Trend hat sich breit gemacht und das ehemals heilige Horror-Genre zu einer plumpen Suppe aus roher Gewaltdarstellung und trivialen Geschichten verkommen lassen.

Sam Raimi is back

Da taucht aus dem Nichts plötzlich einer der ganz Großen des Horror- Genres auf. Sam Raimi, der Schöpfer der Evil Dead („Tanz der Teufel“) Trilogie und Entdecker von Bruce Campbell, der bis heute als eine Ikone des B-Movies gilt. Raimi stellte das Horror-Genre auf den Kopf, in dem er es schaffte, heftige Schockmomente mit lustiger Slapstick zu kombinieren. Das Ergebnis waren Filme mit einem Pacing, das dem Zuschauer kaum Luft zum verschnaufen ließ. Natürlich will ich an dieser Stelle nicht verschweigen, dass Raimi in den letzten Jahren dank Spider-Man auf den Mainstream-Zug aufgesprungen ist und vor allem durch die familienfreundliche Umsetzung des Marvel Helden von sich reden machte. Umso spannender war also für mich als Fan der alten Raimi Filme, ob er mit DRAG ME TO HELL (DMTH) zu alter Stärke zurück finden konnte. Denn, zumindest laut den jüngsten Kritiken, die seit einigen Wochen durchs Netz schwirren, hat Raimi einen Horrorfilm der alten Schule geschaffen. Grund genug für mich, den Film abzuchecken.

Warum man einer Zigeunerin niemals einen Kredit verwehren sollte

Die Story ist schnell erzählt: Christine Brown ( Alison Lohman ) arbeitet in einer kleinen Bank und hat die ehrenvolle Aufgabe Kredite zu genehmigen. Oder auch nicht. Ihr Leben ändert sich schlagartig, als die Zigeunerin Mrs. Ganush ( Lorna Raver ) um eine Verlängerung ihres Kredits bittet. Christine lehnt ab und wird daraufhin spontan von der alten Dame verflucht. Fortan wird Christine von nervenden Dämonen und Vorboten der Hölle heimgesucht. Ein Wahrsager klärt sie dann auf: Wenn sie den Fluch nicht innerhalb von drei Tagen los wird, kommt der Dämon „Lamia“ und wird sie direkt in die Hölle ziehen. Ein Wettlauf gegen die Zeit, nervige Schwiegereltern und fiese Dämonen hat begonnen…

Fazit

Mit DRAG ME TO HELL kehrt Regisseur und Autor Sam Raimi zu seinen filmischen Wurzeln zurück. Wer einen Splatterfilm oder eklige Folterszenen erwartet, wird enttäuscht. DMTH bietet klassische Horror-Kost, wie sie heute eigentlich nicht mehr produziert wird. Dutzende Schrecksekunden, unzählige Jumpscares und aberwitzige Slapstick-Situationen sorgen für einen der kurzweiligsten und unterhaltsamsten Filme, die ich dieses Jahr gesehen habe. Wer glaubt, dass man nur mit Kübeln von Blut oder kleinen asiatischen Mädchen mit nassen Haaren einen guten Schocker machen kann, dem beweist Raimi das Gegenteil. Auch wenn der Film mit viel Humor ausgestattet ist und sich im Gegensatz zu seinen Genre-Kollege selbst nicht ganz ernst nimmt, bietet er einige hervorragende Schockmomente. Geschickt spielt Raimi mit dem Zuschauer und findet immer wieder neue Möglichkeiten das Publikum zu überraschen.

Besonders bombastisch ist die musikalische Untermalung von DMTH. Ich weiß nicht ob es am Kino lag, oder ob der Film bewusst so abgemischt wurde, aber bei einigen Szenen sorgt allein die Akustik dafür, dass Ihr den ein oder anderen Herzstillstand erleidet.

Es ist gar nicht so leicht zu sagen, warum mir der Film so außerordentlich gut gefallen hat. Die Story ist nicht wirklich neu, die Schauspieler erfüllen ihren Zweck, reißen aber auch keine Bäume aus und die Effekte sind zwar ordentlich, aber nichts, was man nicht vorher schon gesehen hat. Trotzdem bin ich lange nicht mehr so zufrieden und mit einem breiten Grinsen aus dem Kino gegangen. Denn DRAG ME TO HELL macht genau das, was ich von einem Film erwarte: Er unterhält von der ersten bis zur letzten Minute. Er nimmt den Zuschauer ernst, indem er mit seinen Erwartungen spielt, und er schafft es das Publikum von einer auf die andere Sekunde zum Lachen zu bringen und dann so zu erschrecken, dass man sich am liebsten unter seinem Kinosessel verstecken würde.

DRAG ME TO HELL wird von Kritikern gefeiert. Satte 93 Prozent bei Rottentomatoes ist für einen Horrorfilm aller Ehren wert. Das Einspielergebnis konnten die guten Rezensionen allerdings nicht wirklich retten. Obwohl der Film in Amerika mit einem PG-13 Rating fast schon für die ganze Familie eingestuft wurde (was mich dann, trotz der ausbleibenden Darstellung von Splatter- und Gore-Szenen, sehr gewundert hat), hat er am ersten Wochenende „nur“ 15 Millionen Dollar eingespielt. Saw 5 spielte in der gleichen Zeit das doppelte ein.
Da bleibt nur zu hoffen, dass das der Entwicklung von „Evil Dead 4“ keinen Abbruch tut. Ich verzichte auch freiwillig auf einen neuen Spider-Man Teil dafür…

FSK: freigegeben ab 16 Jahren
Verleih: Universal Pictures
LINK: Die offizielle Seite zum Film